Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
einfach nur schlechtes Timing. Der Grund dafür ist unwichtig, weil sich daran nichts ändern lässt. Wir müssen eben anders vorgehen, und am besten funktioniert das, wenn du diese verdammte Burqa anziehst."
Sein Blick ruhte auf dem Schleier vor ihrer unteren Gesichtshälfte, der sich bei jedem ihrer wütenden Atemzüge bewegte. „Ich mache dir einen Vorschlag", sagte er nach einer Weile.
„Einen Vorschlag?" Jede ihrer Silbe war von der Vorsicht geprägt, die sich in ihr breit machte.
„Genau. Ich finde es nur fair, wenn ich bedenke, was du mir antun willst."
„Und was soll das sein?"
„Ich ziehe dieses Ding an, wenn du deins ausziehst."
„Meine Burqa?"
„Und diesen Schal oder Schleier oder was das da ist, was du dir um den Kopf gewickelt hast."
Sie hob eine Hand an den Stoff. „Oh nein. Ich muss auch getarnt sein."
„Es soll ja nicht sofort sein", sagte er und machte eine großmütige Geste. „Aber sobald wir auf der anderen Seite der Grenze und in Sicherheit sind, legst du das Teil ab."
Da sie die Absicht hatte, ihn nach Pakistan zu bringen und mit dem Fahrer nach Ajzukabad zurückzukehren, stimmte sie zu: „Also gut."
Sein Gesicht verriet, wie sehr ihn ihr Zugeständnis überraschte. „Wir sind uns einig?" Ja."
„Du ziehst dieses Zeug aus, und ich kann dein Gesicht sehen, ohne dass irgendein Schleier im Weg ist?"
„Das habe ich doch gerade gesagt, oder nicht?" gab sie gereizt zurück. „Ich verstehe nur nicht, warum dir das so wichtig ist. «
„Weil ich es nicht mag, wenn man Dinge vor mir verbirgt."
Unbehagen erfüllte sie. „Das mache ich nicht."
„Wirklich nicht? Dann nimm den Schleier ab."
„Jetzt habe ich dafür keine Zeit." Sie warf die Burqa auf das Bett und ging zur Tür. „Du solltest dich besser schnell umziehen. Wir brechen in zehn Minuten auf."
Während sie auf dem Weg zur Grenze waren, dachte Chloe ständig daran, dass sie Wade verschweigen musste, dass sie nach Ajzukabad zurückkehren würde. Und er sollte nicht merken, wie viel sie über die Dinge wusste, die ihn in seinen Träumen verfolgten. Warum nur hatte sie einen heftigen Widerwillen dagegen verspürt, ihm ihr unverschleiertes Gesicht zu zeigen?
War es Eitelkeit? Oder die Angst, er könnte enttäuscht sein? Oder hatte es gar nichts mit ihm persönlich zu tun? War es ein genereller Widerwille, sich einem Mann zu zeigen? Wollte sie weniger ihren Körper verhüllen, als vielmehr ihre Gedanken und Gefühle verbergen, die sich auf ihrem Gesicht abzeichnen konnten? Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, diese Dinge zu verbergen und sich als passive Unperson in einer von maskuliner Gewalt geprägten Welt auszugeben. Die Burqa war zu einer Maske des Gehorsams geworden, hinter der sie ihren subversiven Aktivitäten nachging. Sie käme sich nackt vor, wenn sie diese Maske ablegen sollte und all ihr Hass und ihre Feindseligkeit zum Vorschein kommen würden. An einem anderen Ort, wo jeder sein Gesicht zeigen könnte, wäre das vielleicht in Ordnung, aber nicht hier und jetzt.
Die Stadt fiel hinter ihnen zurück, während sie die ersten Ausläufer einer Gebirgskette erreichten, die schließlich in den Hindukusch übergehen würden. Die kahlen Hügel erstreckten sich vor ihnen in Beige-und Goldtönen, in Ocker und Braun, die zum staubigen Grün der Lärchen-und Pinienwälder passten. Dahinter erhob sich die in Dunst und Wolken gehüllte Gebirgsregion, die einige der höchsten Berge dieser Welt umfasste. Weit oben in ihren bläulichen Höhen gab es eine Hand voll Pässe, die jahrhundertelang Händlern und Invasoren gedient hatten und das noch immer taten. Einer von ihnen, der Azad-Pass, war während der Kriege unter der britischen Herrschaft oft benutzt worden, und diesen Weg würden sie nehmen.
Sie waren in einem Kombi unterwegs, einem großen schwerfälligen Modell, das fast vierzig Jahre auf dem Buckel hatte. Wagen wie dieser waren nicht nur wegen ihrer Langlebigkeit beliebt, sondern auch, weil sie ein Maximum an Platz für Mitreisende und Gepäck boten. Ihr Fahrer Kemal war ein hünenhafter Tadschike mit vollem Haar mit blonden Strähnen, der nicht Pashtu, sondern Dari sprach. Er saß hinter dem Steuer und fuhr, ohne ein Wort zu sagen - vermutlich aus Angst oder Widerwillen, weil man ihm aufgetragen hatte, zwei Amerikaner in Sicherheit zu bringen. Er fuhr so schnell, dass man befürchten musste, beim nächsten der unzähligen Schlaglöcher würde es unausweichlich einen Achsenbruch geben. Er wäre sogar noch
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