Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
schneller gefahren, wenn die junge Frau auf dem Beifahrersitz sich nicht so lautstark beschwert hätte. Die Frau hieß Freshta und war eine der mutigsten Mitarbeiterinnen der RAWA. Sie begleitete sie, um ein Video außer Landes zu schmuggeln, das zeigte, wie eine Frau wegen Ehebruchs hingerichtet wurde. In Pakistan würde sie das Band den dortigen RAWA-Mitgliedern übergeben, die ihrerseits die Aufnahme den westlichen Journalisten zuspielen würden, die sich für die Frauen von Hazaristan einsetzten.
Chloe saß zusammen mit Wade, der genauso mürrisch war wie Kemal, auf der Rückbank. Er trug seine Burqa, als wäre es eine Strafe. Sein Blick durch den Netzeinsatz glich dem eines Falken, der durch Gitterstäbe nach draußen in die Freiheit starrte. Seine brütende Gereiztheit hätte etwas Amüsantes an sich haben können, wäre Chloe nicht daran erinnert worden, dass sie genauso zornig gewesen war, als sie zum ersten Mal ihre Burqa hatte tragen müssen. Auch verkniff sie sich ein Lächeln, da sie fürchtete, Wade könne sich aus Wut den ver hass ten Stoff vom Leib reißen.
„Alles in Ordnung?" fragte sie, als ihr klar wurde, dass sie ihn längere Zeit angestarrt hatte.
Er reagierte auf ihre Frage mit einem ausgesprochen bitteren Blick.
„Ich meinte damit, ob dir vielleicht schwindlig ist. Oder ob durch die Schlaglöcher deine Verletzung wieder angefangen hat zu bluten."
„Nein."
Sein barscher Tonfall ging ihr an die Nerven, doch sie bemühte sich, das zu ignorieren. Sie musste sich vor Augen halten, dass er nur ihretwegen hier war. Wenn sie ihn sofort weggeschickt hätte, anstatt ihn immer weiter hinzuhalten, dann wäre er unversehrt geblieben. Schuldgefühle kamen in ihr auf, da er vergebens so viel aufs Spiel gesetzt hatte. Sie würde nicht mit ihm nach Amerika gehen. Er hatte sie über das Erbe informiert und ihr das Versprechen der Unabhängigkeit gegeben, und dafür war sie ihm etwas schuldig. Hinzu kam, dass er ein Landsmann war. Sie weigerte sich, ihre Verpflichtung ihm gegenüber zu vergessen.
Mit einem kurzen Blick in ihre Richtung fragte er: „Wie weit haben wir es noch?"
„Einige Stunden bis zur Grenze, und dann von dort bis Rawalpindi noch einmal einige Stunden. Aber sobald wir in Pakistan sind, befinden wir uns in Sicherheit."
„Also fliegen wir von dort ab?"
„Ich habe in deiner Hosentasche die Flugtickets gefunden."
Er nickte knapp. „Dann unterscheidet sich dein Plan gar nicht so sehr von meinem."
„Vermutlich nicht. Es gibt allerdings auch nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten, Hazaristan zu verlassen. Unser größtes Problem wird der Grenzübertritt werden."
„Das ist wahr."
„Wir haben getan, was wir konnten."
Wade erwiderte nichts. Als sie zu ihm sah, blickte er wieder aus dem Fenster und betrachtete die sägezahnförmigen Gipfel, die vor ihnen in den Himmel ragten.
Die Zeit verging nur langsam. Sie ließen die Flussniederung hinter sich und fuhren hinauf in Richtung Pass. Die Straße wand sich in Serpentinen in nordwestlicher Richtung. Als die Steigung steiler wurde, holten sie den Schwerlastverkehr ein, der Kemal zum Zurückschalten zwang. Die Lastwagenfahrer mühten sich nicht nur ab, die steile Straße zu überwinden, sie wurden außerdem unablässig durch Flüchtlinge am Vorankommen behindert. Manche waren allein unterwegs, andere mit ihrer ganzen Familie, viele von ihnen schleppten ihr gesamtes Hab und Gut mit sich, das auf klapprigen Lastwagen oder Handkarren aufgetürmt und festgezurrt worden war. Manche transportierten ihre Sachen auch auf Eseln, Kamelen und hin und wieder auch auf Ziegen. Aus den unterwegs geschätzten zwei Stunden wurden drei, da sie sich nur mühselig den Berg hinaufkämpfen konnten und die Kolonne mehr als einmal völlig zum Erliegen kam.
Die Hitze im Kombi wurde immer unerträglicher, da trotz geöffneter Fenster die Luft nicht zirkulierte. Mit rund tausend Metern lag der Pass nicht hoch genug, um etwas Abkühlung von den Gipfeln zu bringen, und die Felswände um sie herum strahlten einerseits die Hitze der Sonne ab und verhinderten andererseits, dass sich ein Wind regen konnte. Die Burqa machte es Chloe zusätzlich schwer, und sie wusste, dass es Freshta und Wade nicht besser erging. Er litt fast noch mehr, da er derartige Bedingungen nicht gewöhnt war. Die Mischung der Gerüche aus Schweiß, muffigen Sitzpolstern, Abgasen und Tierkot auf der Straße tat ein Übriges.
Die Entfernungen, die sie zwischen zwei Stopps zurücklegten,
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