Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
jetzt ist er auf unserer Seite. Gleichzeitig arbeitet er als Verbindungsmann zwischen der Organisation und der Opposition."
Wade spielte mit dem Gedanken, Freshta zu fragen, ob sie eine ähnliche Vorgeschichte hatte. Er nahm davon jedoch schnell wieder Abstand, da es so schien, dass jeder nur entsetzliche Erfahrungen gemacht hatte. „Ich wusste nicht, dass die beiden Gruppen die gleichen Ziele verfolgen."
„Das ist nicht grundsätzlich so. Einige der Oppositionsführer legen den Koran genauso eng aus wie die Taliban. Aber die relativen Lockerungen in Afghanistan geben uns Hoffnung."
Wade antwortete nicht, da er mit anderen Dingen beschäftigt war.
Der große Laster vor ihnen versperrte die Sicht auf die Grenzstation. Er konnte nur ein paar Leute sehen, die auf der Straße standen und vermutlich darauf warteten, dass die Durchsuchung ihres Wagens abgeschlossen wurde. Auch Kemal beobachtete die Leute, während er mit den Fingern angespannt auf das Lenkrad trommelte.
„Wie stehen die Chancen, dass Kemal das Feuer eröffnet, wenn etwas schief geht?" fragte er Chloe mit leiser Stimme.
„Bestens. Er soll uns nicht nur über die Grenze bringen, sondern auch beschützen."
Offenbar war sie der Meinung, dass er, Wade, nicht in der Verfassung war, eine Waffe zu benutzen. Er machte keinen Hehl daraus, dass er im Moment nicht in Bestform war, doch er war weitaus kräftiger, als er Chloe glauben ließ. Wenn es nach ihm ging, sollte sie auch noch eine Weile in ihrem Glauben bleiben.
Vermutlich hatten die letzten zwei Tage in der RAWA-Unterkunft bei Chloe ein großes Gefühl der Dankbarkeit für die Menschen, die ihnen geholfen hatten, geweckt. Und es war anzunehmen, dass sie von Schuldgefühlen geplagt wurde, weil sie ihre Freunde im Stich ließ. Er konnte sich gut vorstellen, wie sie wieder in die alte Entschlossenheit zurückfiel, die sie beim Gespräch im Garten ihres Hauses hatte erkennen lassen. Wäre er ein Spieler gewesen, dann hätte er ohne Zögern Geld darauf gewettet, dass sie ihn außer Landes bringen und in ein Flugzeug setzen wollte, um dann auf der Stelle nach Hazaristan zurückzukehren, wo sie im Untergrund weiter gegen die Taliban kämpfen würde. Das war zwar eine noble Sache, doch er durfte es nicht zulassen. Wenn es sein musste, würde er noch länger den Hilfsbedürftigen spielen, um sie im Unklaren zu lassen.
Jetzt, wo er geschwächt war, schien sie ihm gegenüber nicht ganz so auf der Hut zu sein. Es machte ihm nichts aus, noch nicht so erholt zu wirken, wie er es eigentlich war, wenn er ihr auf diese Weise näher kommen konnte. Vielleicht würde er irgendwann einmal auf jeden noch so kleinen Vorteil angewiesen sein.
Der Lastwagen vor ihnen fuhr an, kam jedoch nach wenigen Metern bereits wieder zum Stehen. Kemal schloss sofort die entstandene Lücke. Sie sahen zu, wie der Fahrer ausstieg und nach Waffen abgetastet wurde. Freshta fluchte leise, dann sprach sie in schneidendem Tonfall mit Kemal. Der breitete die Hände in einer Geste aus, die in jeder Sprache der Welt Hilflosigkeit bedeutete. Im nächsten Moment griff er unter seinen Sitz, als taste er nach einer dort versteckten Waffe. Wade spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. Er hatte keine Probleme damit, dass ihn möglicherweise eine Schießerei erwartete, aber es gefiel ihm nicht, dass zwei Frauen in die Schusslinie geraten konnten.
Der Lastwagenfahrer bekam ein Zeichen, dass alles in Ordnung war, und kletterte in sein Führerhaus. Der Wachposten winkte den Laster weiter, der die Grenzmarkierung überfuhr und das Land verließ.
Chloe legte eine Hand auf Wades Arm. „Leg dich nach hinten", drängte sie. „Mach die Augen zu und tu so, als wärst du krank."
Es ging ihm gegen den Strich zu schauspielern, doch in diesem Fall konnte es helfen, eine Konfrontation zu vermeiden, die die beiden Frauen in Gefahr gebracht hätte. Außerdem fiel es ihm schwer, ihrem flehenden Blick zu widerstehen. Er rutschte auf seinem Sitz nach unten und schloss die Augen.
Kemal rückte auf. Wade hörte, wie der Wachmann etwas zu dem Fahrer sagte. Dann war ein Rascheln zu hören, als er dem Grenzposten die Papiere überreichte. Es folgte ein Moment der Stille, während der Wachmann in den Dokumenten las.
„Los", befahl der Grenzposten. „Alle aussteigen."
„Warten Sie", setzte Freshta an.
„Du sprichst nicht!" fuhr ihr der Mann über den Mund. „Aussteigen. Die Frauen legen ihren Schleier ab."
Wade hörte, wie Chloe erschrocken einatmete. Niemand im
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