Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
wurden immer kürzer und kürzer. Aus dem Motorraum des Kombis war ein unheilvolles Klappern und Rasseln zu hören. Als sie das nächste Mal anhalten mussten, stieg Kemal aus und füllte Wasser aus einem der Plastikkanister auf der Ladefläche in den Kühler. Aus dem kleinen Kanister trank jeder von ihnen ein paar Schlucke. Obwohl das Wasser durch die Hitze längst warm geworden war, stellte es für ihre ausgetrockneten Kehlen dennoch eine Erfrischung dar. Dann setzte sich die Karawane wieder in Bewegung und legte einige hundert Meter zurück. Von Zeit zu Zeit tippte Kemal auf die Temperaturanzeige für das Kühlwasser auf dem Armaturenbrett und murmelte etwas in seinen Bart.
Aus den Felswänden wurden steile Hänge, die sich hoch über ihnen erstreckten. Die Sonne versank allmählich hinter den Bergen im Westen, der schwarze Schatten dieses Gebirges rückte langsam näher. Die Grenzstation würde bald schließen.
Dann endlich war sie in Sichtweite. Sie kämpften sich näher heran, als die Kolonne abermals zum Stillstand kam. Kemal machte die Tür auf und stieg aus, um zu sehen, was sich vor ihnen abspielte. Er verengte die Augen, und seine Augenbrauen zogen sich unter dem Rand seines Turbans zusammen.
Chloe sah Freshta an, die Dari und eine gutes halbes Dutzend weit verbreiteter Dialekte beherrschte. Sofort rief die Frau Kemal etwas zu. Es folgte ein kurzer Wortwechsel, dessen Klang Chloe mit Sorge erfüllte.
„Und?" fragte sie mit stockendem Atem.
„Der Wachposten hat einen Lastwagen angehalten und lässt sich vom Fahrer die Papiere zeigen, während die Ladefläche durchsucht wird", antwortete Freshta.
„Ist das alles?"
„Keineswegs. Sie haben die Frau, die mit ihm fährt, gezwungen, ihre Burqa auszuziehen. Wahrscheinlich wird sie auch durchsucht werden."
8. KAPITEL
Mühsam schleppte sich der Kombi weiter. Wade blickte sich nach einem Fluchtweg um, doch die schroffen Felswände boten keine Rettung. Es war unmöglich, jetzt noch zu wenden, ohne die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, die sie um jeden Preis vermeiden mussten. Die beste Lösung schien immer noch die zu sein, wie geplant weiterzumachen und darauf zu hoffen, dass der Grenzposten nur Stichproben machte. Wade konnte sich nicht daran erinnern, wann er sich das letzte Mal so hilflos gefühlt hatte. Es war natürlich seine eigene Schuld, da er es anderen überlassen hatte, die Flucht aus dem Land zu planen. Andererseits musste er eingestehen, dass er selbst keinen besseren Weg hätte finden können.
Unter dem Umhang, den er trug, war es so heiß wie in der Hölle. Die Hitze machte ihm allerdings weniger aus als die Tatsache, dass es keinerlei Luftzirkulation gab. Die Wärme, die sein Körper abgab, staute sich unter dem Stoff, und der Schweiß, der unablässig aus allen Poren drang, brannte in seiner Wunde. Dazu kam das entsetzliche Gefühl der Enge, das ihn von dem Wunsch beseelte, sich die Burqa vom Leib zu reißen und sich einen Teufel um die Konsequenzen zu scheren. Zum Glück konnte niemand sehen, wie er unter dem Stoff schwitzte. Ihn überraschte wirklich, dass nicht jede Frau in Hazaristan nach den ersten paar Stunden unter der Burqa losgezogen war, um alle Männer zu ermorden, die ihnen so etwas angetan hatten.
Chloe schien das alles nicht zu stören. Sie strahlte eine erstaunliche Gelassenheit aus, obwohl sie sich im Schneckentempo auf ihre mögliche Verhaftung zubewegten. Zweifellos hatte sie durch das jahrelange Tragen der Burqa eine immense Selbstbeherrschung entwickelt.
Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, war er zugleich mit einer Bestandsaufnahme ihrer Situation beschäftigt. Er griff nach seiner Waffe, die in seinem Hosenbund steckte, und versuchte herauszufinden, wie schwierig es sein würde, sie ins Spiel zu bringen. Als Chloe zu ihm sah, fragte er: „Ich nehme an, dass Kemal bewaffnet ist."
„Da kannst du sicher sein."
„Und er weiß, wie er mit seiner Waffe umgehen muss?"
Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. „Davon kannst du ausgehen. Die Männer aus seiner Familie sind seit Generationen Kämpfer und Krieger."
„Und warum ist er nicht in der Armee?"
„Das war er, bis eine Einheit der Taliban vor einigen Monaten sein Dorf überfiel und alle Bewohner erschossen wurden, weil sie die Opposition unterstützt hatten. Er verlor seinen Großvater, seine Mutter, zwei jüngere Brüder, eine Schwester und drei Neffen. Als er das hörte, ist er desertiert. Eine ältere Schwester arbeitet für RAWA, und
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