Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
Doch seine Loyalität zu den Oppositionskräften machte ihn zu einem Verräter, der auf der Stelle erschossen werden durfte, sobald er sich aus der Sicherheit der Berge herauswagte.
„Dein Stiefbruder ist ein Psychopath", sagte Wade angewidert.
„Das ist deine Meinung. Andere betrachten ihn zweifellos als frommen und guten Patrioten, auch wenn er ein Extremist ist. Er hat gegen dich einen Dschihad erklärt."
Wade zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Ich dachte, das wäre ein heiliger Krieg."
„Stimmt. Allerdings kann er so weit gefasst sein, dass er als Krieg gegen jeden Ungläubigen zu verstehen ist. Man kann ihn aber auch als Kampf oder als Kreuzzug gegen das Böse in jeder Form auslegen. Du bist nicht nur ein Ungläubiger, du hast auch noch Ahmads Ehre angegriffen und sein Haus befleckt. Dafür musst du nun schließlich sterben."
„So langsam und schmerzhaft wie nur möglich, darf ich wohl annehmen, oder?"
Sein Tonfall hatte etwas Sarkastisches an sich. Chloe hielt das für ein gutes Zeichen dafür, dass er den Ernst dieser Drohung verstanden hatte. „So ist es."
„Was ist denn das für eine Rache, wenn der gute alte Ahmad die Polizei ins Spiel bringt und irgendwelche Polizisten ihn um das Vergnügen bringen, mir den Kopf abzuschlagen?"
„Unsere Hauptsorge ist, dass es jetzt viel schwieriger ist, dich aus Hazaristan herauszubringen."
„Nur mich?" Trotz seines Fiebers war er hellwach.
„Uns", berichtigte sie sich rasch. „Ich meinte 'uns'."
„Was ist mit den Leuten, die uns neulich nachts geholfen haben?" fragte er. „Haben die keine Konsequenzen zu befürchten?"
„Bei Ayla und ihrem Wachmann ist alles ruhig gewesen. Die Polizei hat sie nicht aufgesucht."
„Gut. Ich möchte mich nicht in der Form erkenntlich zeigen, dass sie festgenommen wird."
„Du musst dich ihr gegenüber in keiner Weise erkenntlich zeigen."
Er sah sie direkt an. „Vielleicht möchte ich es aber."
„Ach, natürlich, dein Ehrenkodex."
„Einfach nur Dankbarkeit", widersprach er.
Sie konnte ihn gut verstehen, weil sie genauso wegen allem empfand, was man für sie in den letzten Tagen getan hatte. Von ihm hatte sie es jedoch nicht erwartet. „Je eher wir das Weite gesucht haben, umso besser für alle Beteiligten."
„Sag mir, wenn es losgeht."
„Bist du sicher?"
Er verzog sarkastisch lächelnd einen Mundwinkel. „Glaubst du mir nicht?"
„Du warst sehr krank", sagte sie. „Ein leichtes Fieber ist bei einer Verletzung nichts Ungewöhnliches, aber ich hatte Angst, die Wunde wäre vielleicht nicht sauber genug gewesen. Meine Befürchtung war, dass sich die Infektion zu einer Blutvergiftung entwickeln könnte."
„Du hast hervorragende Arbeit geleistet. Keine Sorge, ich komme schon durch."
Etwas in seiner Stimme ließ sie aufhorchen. Sie betrachtete seine Gesichtszüge: Wangen und Kinn bedeckte ein dunkler Zweitagebart, der ihm ein verwegenes Aussehen gab. Seine Miene ließ keine Regung erkennen, und nach einem Augenblick erwiderte sie: „Dann brechen wir heute Nachmittag auf. Wenn wir unseren Zeitplan einhalten, schaffen wir es bis zur Grenze, kurz bevor der Wachwechsel stattfindet. Dann werden die Papiere meist nicht so gründlich kontrolliert."
„Darf ich davon ausgehen, dass wir Papiere haben werden? Ich meine, andere als meine amerikanischen."
„Das ist bereits erledigt. Wir reisen als saudische Staatsbürger."
„Kein Problem."
„Wir nehmen den höher gelegenen Weg über den Azad-Pass an der Grenze nach Pakistan. Der wird wegen der von der pakistanischen Regierung eingerichteten Lager von den Flüchtlingen bevorzugt. Das heißt, wir werden genügend Gesellschaft haben. Wenn wir über die Grenze sind, ist es bis Rawalpindi nicht mehr weit."
„Ich bin beeindruckt."
Sie suchte vergeblich nach einer Spur von Spott in seinen
Worten oder in seiner Miene. „Es ist nicht das erste Mal, dass Leute außer Landes gebracht werden müssen. Außerdem hatten wir genug Zeit, um uns darüber Gedanken zu machen."
„Du hattest Hilfe?" Er sah sie eindringlich an, während er auf ihre Antwort wartete.
„Von den Frauen, die dieses Haus hier betreiben. Sie gehören zur RAWA."
„RAWA?"
„Revolutionary Association of the Women of Afghanistan."
„Hm, revolutionäre Frauen", sagte er langsam. „Die sollte man wohl besser nicht unterschätzen."
„Das will ich hoffen", erwiderte Chloe und wechselte das Thema. „Du solltest etwas essen, damit du wieder zu Kräften kommst. Hast du Hunger?"
„Ich könnte
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