Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
und da war sie schon wieder ganz munter.“
Arty runzelte die Stirn. „Waren Sie denn letzte Nacht nich’ bei ihr?“
„April hat auf sie aufgepasst. Sie ist immer noch dort, weil ich noch etwas zu erledigen habe.“
„Na, dann isses ja gut“, entgegnete der Alte mit einem halb zufriedenen Nicken. „Hier ist alles okay. Is’ still wie in ’ner Gruft hier.“
Bei dem Vergleich rieselte ihr ein kleiner Schauer über den Rücken, den sie zu ignorieren versuchte. „Kein Besuch?“
„Erwarten Se denn wen?“
Die Frist, in der sie das zusätzliche Geld für Dr. Gower beibringen sollte, war mittlerweile verstrichen. Trotz Schwester Fentons Drohung, die Operation nicht durchzuführen, hätte es sie nicht überrascht zu hören, dass entweder sie oder der Arzt da gewesen waren, um das Geld zu holen. In beiläufigem Ton erwiderte sie: „Man kann nie wissen.“
„Ich hab nix gesehen.“ Er hielt einen Moment inne. „Haben Se was vergessen, oder warum sind Se zurückgekommen? Kann ich Ihnen mit was helfen?“
Er ist nicht neugierig, sagte sie sich, während sie, mit Arty im Schlepptau, zum Haus ging; er versucht nur, höflich zu sein. „Ich muss nur etwas besorgen.“
„Aber nich’ in Turn-Coupe, schätz ich mal.“ Er warf einen Blick auf ihre Rostlaube, die hinter der Hütte stand und von der man nur einen hinteren Kotflügel sehen konnte.
„Richtig.“
„Aber Se komm’ doch wieder hierher zurück?“
„Meinen Sie heute noch? Vermutlich schon, weil ich ja Clays Boot zurückbringen muss.“
„Und dann? Wann lassen se die kleine Lainey denn raus? Aus ’m Krankenhaus, mein ich.“
Woher sollte sie das wissen? Es hing von so vielen Dingen ab, auf die sie keinen Einfluss hatte. „Ich weiß es wirklich nicht.“
„Alles klar“, sagte der Alte mit einem weisen Nicken. „Na, ich schätze mal, dass Clay es weiß.“
„Clay? Wieso das?“ Der Blick, den sie ihm zuwarf, war mehr als nur ein wenig erstaunt.
Artys verwittertes braunes Gesicht lief fast lila an vor Verlegenheit. Er warf einen gepeinigten Blick auf die Stelle, wo sein klappriger Kahn lag, und antwortete: „Ach, bloß so. Schätze mal, dass ich und Ringo jetzt besser abdampfen, damit Se auch loskönn’. Sagen Se der kleinen Lainey, dass der alte Arty ihr ’n schönen Gruß ausrichten lässt. Ham Se gehört?“
Janna nickte, winkte ihm zum Abschied zu, drehte sich um und ging zum Haus.
Als sie die heiße stickige Hütte betrat, in der es nach ausrangierten Möbeln und altem Bratfett roch, musste sie immer noch an das, was Arty gesagt hatte, denken. Clay hatte ihr sehr geholfen, aber er hatte kein Recht zu bestimmen, was mit ihr oder ihrer Tochter geschah.
Janna zog die Shorts und das Hemd aus, die Clays Mutter zurückgelassen und die sie sich ausgeborgt hatte, und schlüpfte stattdessen in ein locker fallendes Kleid aus kühlem, aquamarinblauem Leinen. Sie steckte sich das lange Haar hoch und legte vor dem schlecht beleuchteten Spiegel im Bad mehr nach Gefühl ein bisschen Make-up auf. Nun, da sie ein wenig eleganter aussah, fühlte sie sich gerüstet, schloss die Hütte hinter sich ab und machte sich auf den Weg nach Baton Rouge.
Die Fahrt schien eine Ewigkeit zu dauern. Ihre aufgewühlten Gefühle ließen sie nicht zur Ruhe kommen. Sie machte sich Sorgen, dass April andere Verpflichtungen haben und dass Lainey allein bleiben könnte. Was Clay denken, tun oder planen könnte, war eine ständige Bedrohung. Als endlich die Mississippi River Bridge vor ihr aufragte und sie nach Norden abbiegen konnte, atmete sie erleichtert auf.
Kurze Zeit später erreichte sie das Sozialviertel, in dem sich Dr. Gowers Klinik befand, eine Gegend mit Imbissbuden, Pfandleihhäusern, Stundenhotels, Schnapsläden, stillgelegten Autowaschanlagen und halb verlassenen Stripteaselokalen. Dahinter lag die Klinik, obwohl diese Bezeichnung für die Ansammlung von heruntergekommenen Untersuchungsräumen und dem kleinen Operationsraum sehr schmeichelhaft war. In dem Gebäude war früher ein Optiker gewesen, und es war immer noch mit einem Kaufhaus verbunden, dessen Schaufenster mit braunem Packpapier zugeklebt waren, auf dem überall Geschlossen-Schilder prangten.
Nachdem sie sich auf dem Parkplatz davor eine Lücke gesucht hatte und ausgestiegen war, schlug ihr feuchte Hitze entgegen, vermischt mit Kaffeegeruch und dem Gestank, den die Chemiefabrik unten am Fluss in die Luft blies. Sie war ein wenig zu früh dran, da Dr. Gower selten vor zehn in seiner
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