Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
gedacht. Deshalb entnahm ich lange Zeit nur denjenigen die Organe, die auf meinem Operationstisch starben. Aber da waren noch so viele andere, und ihr Sterben war so eine Verschwendung. So eine unendliche Verschwendung.“ Dr. Gower schaute zur Seite, und für eine Sekunde war sein Gesicht eine Maske der Trauer. Dann wurde es wieder hart. „Dass die Leute bei solchen Dingen immer so emotional reagieren. Sie verstehen nicht, dass das Leben armselig ist, dass jeden Tag tausende und abertausende von Menschen sterben oder dass über die Jahrtausende hinweg hunderte Millionen von ihnen gelebt haben und gestorben sind und keine größere Spur hinterlassen haben als … als diese lächerliche Kreatur hier hinterlassen wird.“ Er deutete mit dem Kopf auf Ringo, der in den Raum getrottet kam und an Clays Knöcheln schnüffelte.
„So armselig, dass Sie diese Menschen in den See geworfen haben wie leere Bierflaschen“, sagte Clay.
„Ein Platz, der so gut ist wie jeder andere, um sie zu entsorgen, dachte ich mir. Besonders von einem Boot aus. Barschangler sind zu gelangweilt, um auf irgendetwas zu achten … die Leute schenken dem, was sie tun, so wenig Aufmerksamkeit.“
„Sie haben gesagt, dass das Leben dieser jungen Menschen wertlos war“, mischte sich Janna ein, „aber ich bin mir sicher, dass Sie bei Ihrem eigenen anderer Meinung sind.“
„Mein Leben hat schon allein wegen dem Wissen, das ich hinterlasse, einen Wert, und wegen der Patienten, die dadurch gerettet werden können. Für jede dieser Ratten aus den Sozialvierteln, denen es egal war, ob sie lebten oder tot waren, gab es einen Patienten, der so verzweifelt gern leben wollte, dass er bereit war, jedes Risiko dafür in Kauf zu nehmen, alles dafür zu tun.“
„Jede Summe zu bezahlen?“ vermutete Janna.
„Sie denken an das zusätzliche Geld, das ich von Ihnen verlangt habe. Na und? Die Frage der Finanzierung ist bei jedem großen Vorhaben ein sehr wichtiger Punkt.“
„Ohne mein Geld hätten Sie Lainey sterben lassen, egal wie sehr sie geliebt wurde oder wie gern sie leben wollte.“
„Irgendwer muss die Entscheidung treffen, wer gerettet werden soll.“
In diesem Moment drehte Lainey sich um, schaute den Arzt an und sagte bestimmt: „Das kann bloß der liebe Gott. Sie sind ein böser Mann.“
„Ein Ungeheuer, genau gesagt“, stimmte Janna leise zu, dann fuhr sie fort, weil es schien, dass sie nicht mehr viel zu verlieren hatte: „Sie sind ein Aasgeier, der sich von dem Unglück und dem Schmerz anderer Leute ernährt. Sie sind derjenige, der den Wert des Lebens nicht versteht. Sie denken, dass es armselig ist, weil es so schnell vorbei ist. Aber jede einzelne Sekunde, die wir auf diesem gemeinen und schmutzigen kleinen Planeten verbringen, ist unendlich wertvoll und etwas Wunderbares. Das jemandem wegzunehmen, ist ein Verbrechen, aber es jungen Menschen zu stehlen, die seinen Wert noch nicht schätzen gelernt haben, ist eine Ungeheuerlichkeit ohnegleichen.“
„Sie enttäuschen mich, Janna“, sagte Dr. Gower mit einem Aufseufzen. „Ich dachte eigentlich, dass Sie von all jenen, denen ich geholfen habe, meine Vision am besten verstehen.“
„So ein Quatsch“, warf Clay zutiefst angewidert ein. „Sie hat Ihrem Ego geschmeichelt, weil sie schön ist und so dankbar für die Hoffnung war, die sie ihr gemacht haben. Und es hat Ihnen gefallen, dass Sie sie vollständig in der Hand hatten.“
Dr. Gower lachte trocken auf. „Da könnten Sie Recht haben. Es gab immer die Möglichkeit, dass man sie hätte trösten müssen, falls sich nach der Transplantation bei der lieben kleinen Lainey Probleme ergeben hätten.“
„Niemals“, widersprach Janna leidenschaftlich.
„Nein?“ Die Stimme des Arztes wurde hart. „Also täusche ich mich, dass Sie zumindest erwogen haben, sehr nett zu mir zu sein, um so wenigstens die zusätzlichen Kosten für die Operation Ihrer Tochter zu sparen?“
Er hatte Recht. Und wenn Clay nicht da gewesen wäre, wenn die Leichen nicht gefunden worden wären oder Lainey nicht krank geworden wäre, wäre sie der Versuchung vielleicht erlegen. Gab es überhaupt etwas, das sie für ihre Tochter nicht getan hätte?
Der Drang, diesen Mann zu zerstören, der sie vielleicht so weit gebracht hätte und der sie jetzt auch wieder zu manipulieren versuchte, indem er ihre Tochter in seiner Gewalt hatte, überfiel Janna mit aller Macht. Es war nicht nur das, was er gesagt hatte, obwohl ihr allein davon schon übel wurde; es
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