Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
liebenswert, hatte ein großes Herz und war außergewöhnlich talentiert. Sie war eben eine Künstlerin. Ihre vier Söhne liebten sie rückhaltlos und nahmen sie, auch jetzt noch, gegen jede Kritik in Schutz.
Interessant war, dass Janna ebenfalls eine künstlerische Ader hatte. Hatte sich Matt deshalb so von ihr angezogen gefühlt? Und war das der Grund dafür, dass man in der Familie Benedict nichts von Laineys Existenz gewusst hatte? Hatte sein Bruder Bedenken gehabt, eine Künstlerin nach Grand Point zu bringen? Hatte er sich davor gefürchtet, was ihr Vater sagen oder wie er sie behandeln könnte?
Ein Problem, das ironischerweise nicht von Dauer gewesen wäre, weil ihr alter Herr vor knapp vier Jahren an Prostatakrebs gestorben war. Gewiss nicht zufällig hatte Clay etwa um dieselbe Zeit seinen Beruf als Tierarzt an den Nagel gehängt, um sich ganz seiner Leidenschaft, der Fotografie, zu widmen. Und damals hatte sich auch die Beziehung zu seiner Mutter wieder vertieft.
Je länger er mit Janna und Lainey zusammen war, desto sicherer wurde er, dass ein entscheidender Grund für Jannas Verhalten ihm gegenüber in den Familienbanden lag, die ihn mit ihrer Tochter verbanden. Von Stunde zu Stunde wurde ihm klarer, was Janna zu gewinnen hatte.
Wer könnte für Lainey ein besserer Nierenspender sein als ein Benedict? Mehr noch, wer wäre geeigneter als der Mann, der exakt dieselben Erbanlagen hatte wie Laineys Vater? Bestimmt wusste Janna sehr genau, dass eine Spenderniere von einem nahen Verwandten eine neunzigprozentige Überlebenschance im ersten und eine siebzigprozentige in den nachfolgenden fünf Jahren garantierte. Eine unpassende Niere hingegen wurde vom Körper entweder sofort abgestoßen, oder die Überlebenschance war nicht höher als fünfzig Prozent. Natürlich war es möglich, dass er für Lainey ebenso ungeeignet als Spender war wie Janna, aber Clay wusste, dass durchaus eine reale Chance bestand, dass sein Gewebe mit Laineys Gewebe zu fünfzig oder mehr Prozent kompatibel war. Die Schlussfolgerungen, die sich daraus ergaben, beschäftigten ihn einen Großteil des Tages.
Als die Abendsonne den Himmel rot färbte, kehrten Janna und ihre Tochter zurück. Sie waren verschwitzt, müde und sonnenverbrannt, obwohl Lainey weniger Sonne abbekommen hatte, weil sie den breitrandigen Strohhut trug, mit dem Clay ihre Mutter schon einmal gesehen hatte. Auf Jannas Aufforderung hin ging die Kleine als Erstes unter die kalte Dusche, während Janna in der Küche an der Spüle stand und durstig ein Glas kaltes Leitungswasser nach dem anderen trank. Der grimmig besiegte Ausdruck, der sich beim Blick durchs Fenster auf ihrem Gesicht widerspiegelte, bewirkte, dass Clay Mitgefühl in sich aufsteigen spürte.
„Kein Glück?“ fragte er von der Türschwelle her.
„Es ist schwierig, etwas zu finden, was es nicht gibt“, gab sie über die Schulter schroff zurück.
„Es gibt die Pflanze tatsächlich. Man muss nur an der richtigen Stelle danach suchen.“
„Ich habe Arty eine alte Illustration gezeigt. Er sagt, dass er die Pflanze noch nie gesehen hat.“
„Aber du hast ihn trotzdem gebeten, dir beim Suchen zu helfen?“
Sie schwieg eine ganze Weile, bevor sie erwiderte: „Nein, habe ich nicht.“
„Warum nicht? Du hättest einen Führer gebraucht.“ Ganz zu schweigen von männlichem Schutz, fügte er in Gedanken hinzu.
Statt einer Antwort lehnte sie sich mit dem Rücken gegen den Schrank und fragte: „Du kennst Arty doch schon lange, nicht wahr?“
„Ziemlich lange. Warum?“
„Du hast viel von ihm über die Sümpfe gelernt, richtig?“
„Richtig.“ Clay verstand nicht, worauf sie hinauswollte.
„Wusstest du, dass er vorbestraft ist?“
Clay nickte. „Aber das liegt doch schon vierzig Jahre oder noch länger zurück.“
„Der Gasmann hat mir erzählt, dass er jemanden umgebracht hat.“
„Das stimmt, und er hat dafür gebüßt. Jetzt ist er nur noch ein alter Mann, der sich, so gut er kann, durchs Leben schlägt.“
„Und in den Sümpfen lebt und anderen Menschen nach Möglichkeit aus dem Weg geht. Mit Ausnahme von dir.“
„Und ein paar anderen wie Roan, Kane und Luke oder meinen älteren Brüdern, wenn sie zu Hause sind. Und dir“, fügte er hinzu, um sie daran zu erinnern, dass sie sich mit Arty angefreundet hatte, bevor sie von dem dunklen Fleck in seiner Vergangenheit erfahren hatte.
„Weißt du, womit er seinen Lebensunterhalt verdient?“
Unablässig fuhr sie mit dem Daumen an
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