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Der Bernstein-Mensch

Der Bernstein-Mensch

Titel: Der Bernstein-Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford & Gordon Eklund
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werden, als beobachtete ich sie jetzt von einem hochgelegenen, abgeschiedenen Zufluchtsort aus – einem Beobachtungspunkt auf einer anderen Welt. Niemand erkennt, daß ich so gut, so klar sehen kann. Bradley spricht beruhigende Worte; er weiß, daß Corey sich in einem Zwiespalt befindet. Aber in welchem?
    BRADLEY (schließt): … hätte es für einen Zweck, den Rest des Signals, diese meilenlangen Bandaufzeichnungen, so schwer entzifferbar zu machen? Sie mögen Geheimniskrämer sein, aber ich kann mir nicht denken, daß sie schrullig sind. Wie spät ist es?
    TSUBATA: Drei Uhr.
    BRADLEY: Ich habe eine Verabredung. Bin sowieso froh, wenn ich aus der Vollgravitationsebene herauskomme. Das nimmt mir Monate meines Lebens.
    COREY (fertig): Das Offensichtliche ist nicht immer unwahr, Dr. Reynolds.
    Aber sie tun seine letzte Bemerkung mit einem Achselzucken ab; sie fürchten, die Implikation zu verstehen. Maras Wimpern zucken, und sie schaut auf den Kasten, ohne daß man es ihr anmerkt. Stille senkt sich herab wie Schnee im Frühling. Sie sehen auf, Stühle scharren, Löffel und Gabeln klappern. Ein Wirbel von Aktivität erhebt sich langsam. Sie brechen das Lager ab. Mara schiebt sich zwischen sie. Sie trappeln hinaus wie eine Herde, Bradley an der Spitze, Tsubata auf der Flanke. Mein Kasten sirrt, wimmert, sirrt.

 
3
     
    Bradley saß zusammengesunken in seinem Sessel und starrte auf den sauberen, glatten Boden seines Büros. Er wartete darauf, daß die Tür aufgerissen wurde. Mit der Faust hielt er die zerknüllten Überreste der Nachricht von der Erde umklammert, die man ihm erst vor wenigen Augenblicken in die Hand gedrückt hatte. Es war einfach schändlich, dachte er. Erst gestern, beim Essen, hatte er ein Stückchen echter Menschlichkeit in Mara entdeckt, das er bislang nicht für möglich gehalten hatte. In der letzten Zeit hatte so etwas immer wieder durchgeschimmert, bei Gelegenheiten und an Orten, wo er es am wenigsten erwartet hätte. Und jetzt das – diese Nachricht –, es würde alles zerstören. Er seufzte leise. Er hatte sie beide rufen lassen. Niemand sonst würde es ihnen sagen wollen.
    Was ihn störte war, daß die Nachricht ihn nicht tiefer und in einer weniger personalisierten Weise betroffen gemacht hatte, aber die Erde schien ihm so fern, und ihre wogenden Probleme, Überbevölkerung und Unzufriedenheit, Furcht und Haß unter den Menschen, alles das interessierte ihn weit weniger als die Kristalle auf Titan. Oft glaubte er, daß er wahrscheinlich nicht zurückkehren würde. Er erwartete, irgendwo hier draußen zu sterben. Sie hatten ihm Tunesien genommen, aber er hatte sich ein neues Kloster geschaffen, hier neben dem Jupiter – sein Büro.
    Bin ich gleichgültig geworden? fragte er sich, und er drehte die Nachricht in den Händen. Ist mein Herz im Laufe der Jahrzehnte kalt und verkrustet geworden? Oder bin ich nur sparsamer mit meiner Zuneigung? Fühle ich noch genauso wie früher, und sind nur die Dinge, die mir am Herzen liegen, weniger geworden?
    Er fand, daß Mara und Corey ihm am Herzen lagen, wenn er sie auch nicht gern hatte. Diese genetischen Freaks, diese Nippies – ihre bloße Existenz war ihm schon ein Abscheu. Eine mittelalterliche Einstellung vielleicht, aber fest verwurzelt in seinem Glauben, daß man die menschliche Rasse im Großen nicht vollkommener oder besser machen konnte. Er hatte die letzten fünfzig Jahre seines eigenen Lebens mit dem vergeblichen Versuch hingebracht, eine einzelne Seele (seine eigene) zumindest in manchen Punkten zu vervollkommnen, und er war ganz und gar nicht sicher, daß ihm das gelungen war. War Mara ein Fortschritt? In seinen Augen nicht. Intelligenz war eine Tugend, deren Bedeutung dahinschwand, wenn man älter wurde. Und Corey? Der Gedanke ließ ihn schaudern.
    Er dachte zurück an eine junge Frau, die er in seinen letzten Jahren in dem tunesischen Kloster gekannt hatte, Catherine McClair, eine fromme, gebildete Christin, die ihm eines stillen, schweigsamen Nachmittags anvertraut hatte, daß der Messias zur Erde gekommen sei.
    Er nahm leicht ihre Hand; die glatte, zarte und vom Alter unberührte Haut zu spüren erweckte ein glückliches Gefühl in ihm. „Welchen meinst du?“ Er erwartete einen Scherz. „Es gibt mehrere.“
    „Nein, keiner von denen.“ Ihre Lippen waren rot geschminkt, eine uralte Mode; ihr einfach zurückgebundenes Haar enthüllte ein ovales Gesicht. „Christus war die Inkarnation Gottes. Ich meine die Inkarnation des

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