Der Bernstein-Mensch
man es nicht weniger grob mit ‚Liebe’?“
„Hm. Möglich.“
„Früher oder später wird die Botschaft solche Fragen aufwerten. Spezialisten werden sich in die Haare geraten und die poetische Lesart gegen die praktische setzen. Ganze Universitätsabteilungen, Konferenzen, Dissertationen …“
„Ich sehe immer noch nicht, wie Titan dabei helfen kann.“
„Na, indem er uns einen neuen Kontext gibt.“ Bradley war überrascht, daß sie ihn nicht verstanden hatte. „Wir können uns nicht an irgendeiner Illusion von Einzigartigkeit messen. Es sind Menschen wie Rawlins, die an starre Definitionen glauben – seine Angst vor dir wurzelt in schlichter Ignoranz. Und unsere Aufgabe ist es, die Definitionen zu erweitern, bis selbst Rawlins sie nicht mehr als Tarnung verwenden kann.“ Er faltete seine verdorrten, fleckigen Hände auf dem Bauch und spürte, wie eine behagliche Schläfrigkeit ihn zu durchdringen begann. Und, dachte er, selbst im Fremden eine verzeihende Seele zu finden.
Stunden später loderte die Außenbeleuchtung der Relaisstation Vier auf, ein einladendes Strahlen im rötlichen Tageslicht von Titan.
Eine Welt aus Rost, dachte Bradley. Ein schmaler Bruchteil des sichtbaren Spektrums sickerte durch die Wolkenhülle herab und tauchte das bucklige Land in ein modriges Glühen. In dem grellen Licht warf der Schreiter einen spinnenartigen Schatten auf die nahegelegene schiefergraue Wand, die das Tal umsäumte. Seine stampfenden Beine wirbelten Staubwolken auf, als er sich rückwärts in die Luftschleuse der Station schob.
Najima schaltete die Maschine ab und sicherte die Steuerkonsole. Dann sah er hinüber zu Bradley. „Ich dachte, ich erspare Ihnen die Mühe, einen Anzug anzulegen. Unsere Heckschleuse mündet direkt in die Station.“
„Danke, aber ich habe sowieso …“ Bradley brach ab; je weniger Najima über die Tatsache nachdachte, daß Bradley einen titantauglichen Anzug bei sich hatte, desto besser. Ein Anschein von Hilflosigkeit würde nützlich sein. „Diese weißen Linien – ist das das Netz?“ fragte er im Plauderton.
„Ja, ich glaube schon. Sie liegen ziemlich dicht in dieser Gegend.“
Aus dem Heck des Schreiters drang das Pfeifen der Luftschleuse, und dann kam ein bitterkalter Windstoß heran. Bradley schauderte. Der Kragen seiner blauen Jacke flatterte schlaff im frischen Atem von Titan. Die gute Isolierung des Schreiters verdeckte die Tatsache, daß die Temperatur in der zerklüfteten, reifbedeckten Landschaft draußen hundert Grad unter dem Gefrierpunkt von Wasser lag. Der Hügel war von rosafarbenen Eisflecken bedeckt, die auf der Erde sogleich zu einem brennenden Schwall von Ammoniakdunst aufgeblüht wären.
Tsubatas trockene Stimme bestätigte, daß die Verbindung mit der Station hergestellt sei. Najima schwenkte auf seinem Sitz herum und erhob sich, aber Bradley hob die Hand. „Wir sind auf einer Art Felseninsel, nicht wahr?“
„Eine Klippe, die durch das Eis stößt, ja.“ Najimas klobiger Kopf wackelte zustimmend. „Keine Sorge – diese Orte sind die stabilsten auf Titan. Kuiper-Basis ist nur die größte von ihnen.“
„Sie könnten aber absinken.“
„Unwahrscheinlich, Sir. Diese Täler haben ein langes Leben.“
„Wie Steine in einem Eisberg.“
„Vermutlich. Aber es ist ein kugelförmiger Eisberg, und der Ozean ist innen. Das macht die Kruste relativ stabil.“
Bradley nickte. Najimas sanftmütige Freundlichkeit durchbrach die rauhe Schale des Basis-Commanders, wann immer sich die Möglichkeit bot. Bradleys zur Schau getragene Vorsicht brachte die weichherzige Seite Najimas zum Vorschein, und in den nächsten Tagen, während ihres Aufenthaltes in der Station, würde er an dieser Facette arbeiten können. Falls sie sich nicht alle entspannten und ihre Gereiztheit bändigten, würde es sicherlich Schwierigkeiten geben.
„Ich nehme an, daß das Netz das weiß?“ fragte Bradley milde.
„Sie vermuten, daß es das weiß. Daß es ein Bewußtsein hat.“
„Eine Hypothese.“
„… die unbewiesen ist. Wir haben keinerlei Hinweise auf Nerven …“
„Warum treten sie in den sicheren Gebieten so geballt auf?“
Najimas olivenfarbenes Gesicht legte sich in Falten. „Nun ja, sie bestehen größtenteils aus Silikaten und metallischen Elementen. Es erscheint nur natürlich, daß geologische Formationen dort entstehen …“
„… wo ihre Bausteine reichlich vorhanden sind“, schloß Bradley für ihn.
„Selbstverständlich.“
„Könnte
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