Der Bernstein-Mensch
Kommentar zur Menschheit, fand Bradley, daß die Planer sich für getrennte Räume entschieden hatten, obgleich jeder davon so klein sein mußte. Auf den ersten Blick hätte man glauben sollen, daß die durch das ständige Leben in geschlossenen Räumen, abgekapselt von dem knirschenden Gefühl Titans, hervorgerufene Klaustrophobie nach großen Räumen verlangt hätte, nach einem Gefühl von luftiger, ausgedehnter Weite. Aber selbst hier wollten die Menschen lieber ihre Privatsphäre behalten. Die Reibung, die sich aus dem ständigen Kontakt ergab, erwies sich als zu anstrengend.
Kleine, kleine Gesten im Angesicht des Fremden, dachte er.
Bradley spähte durch die wächserne Transparenz der Fensterluke und versuchte, trotz des Geschaukels einen Blick auf das zu erhaschen, weshalb er hergekommen war: Die großen, kristallenen Netze, die Titan umspannten und deren Natur im Dunkeln lag. Er wußte, daß es in der Nähe eine ganze Reihe von ihnen gab. Der Titan-Orbiter hatte sie völlig übersehen. Unter der rotbraunen Wolkendecke spannen die weißen Fasern ein scheinbar ungeordnetes Netz. Frühe Spekulationen hatten in Titan so etwas wie eine eisige Ursuppe gesehen, reich an Methan und Ammoniak. Das Netz schien allerdings einige ölartige Kettenmoleküle zu enthalten, aber damit endete die Analogie zur Erde auch. An manchen Stellen war das Kristallgebilde von simpler, monokliner Struktur, und an anderen, da, wo sich die weißen Stränge durch Gletscherspalten und Eisfelder zogen, verschmolz es zu komplexen, ineinander verschlungenen Matrizes. Die erste bemannte Expedition hatte gelbe Farbmarkierungen in der Nähe des Netzes hinterlassen. Einige Wochen später sickerten zitronenfarbene Flecken und Tupfen kilometerweit entfernt hervor. Es gab eine Art von Verdauung – ein leichter Abbau des Öls, das die Männer verwendet hatten –, aber keinerlei Hinweis darauf, wie die Energie nutzbar gemacht wurde. Augenscheinlich lieferte es die elektrische Energie für die gelegentlich ausbrechenden zuckenden Ströme, die sich über die Titanoberfläche kräuselten, aber nicht einmal in diesem einzelnen, einfachen Punkt herrschte wirklich Klarheit.
Bradley ließ sich zurücksinken; das angestrengte Blinzeln ermüdete ihn. Najima und die anderen in der Kuiper-Basis zeigten sich in ihren Berichten angesichts der Erfolglosigkeit ihrer Experimente immer wieder von neuem überrascht. Die Entwicklung von genauen Prüfverfahren erforderte eine Arbeitshypothese. Aber was noch wesentlicher war: Für die Experimente bedurfte es auch einer wissenschaftlichen Methode, die von den richtigen Voraussetzungen ausging.
Nach Jonathons irrwitzigem Tanz, nach Coreys Sturz in den Wahnsinn war Bradley nicht mehr so sicher. Alle diese Entdeckungen waren von den äußersten, nackten Rändern menschlicher Erfahrung gekommen, nicht aus dem warmen, behaglichen Fleckchen rings um das golden leuchtende Lagerfeuer der Menschheit.
Lag darin eine Moral? Die Offenbarungen – und wie hatte er nach ihnen gedürstet, ohne es zu wissen! – kamen auf dem Vektor des Unerwarteten. Die Konsens-Realität blieb unfruchtbar.
Das Alpha-Libra-Puzzle war, wie sich zeigte, nicht bis ins letzte Komma logisch. Und Jonathons lächerliche Liebe zu Kreisen als vollkommenen Kurven – vernünftig, unter einer Voraussetzung, die ebenso absurd war wie die läppischen Regeln des triefäugigen, alten Plato, aber ohne diese Voraussetzung … Nein, er spürte, daß es da noch einen Mittelweg geben mußte.
Und dann … vielleicht waren seine
Weitere Kostenlose Bücher