Der Bernstein-Mensch
Reynolds sein? Der erste Mensch auf dem Mars? Der Mann, der mit den Aliens sprach? Der Mann, den wir brauchen, um die Welt zu retten? Bradley erinnerte sich mit Vergnügen an einen Tag vor zwölf Jahren, als Vonda Kelly gekommen war. Ihr Besuch war ihm tiefer im Gedächtnis geblieben als die der anderen, denn sie hatte eine ganze Nacht lang versucht, ihn zur Rückkehr zu bewegen, und dabei hatte sie sogar Sex eingesetzt. Bruder Ling hatte ihn gründlich gezüchtigt, weil er nicht vermocht hatte, ihr zu widerstehen. Aber das Alter ließ einen Mann dort unten schließlich nicht verdorren. Es machte es höchstens leichter, sich auf die weniger körperlichen Aspekte des Daseins zu konzentrieren.
„Dr. Reynolds, ich …“
„Sagen Sie einfach Bradley. Der andere Name – es ist nicht mehr meiner.“
„Sir, mein Name ist Carr, und man hat mich beauftragt, Sie um Ihre Anwesenheit …“
„Nein. Ich bin niemals irgendwo anwesend außer hier.“ Bradley sah, daß er das Spiel bereits gewonnen hatte. Dieser Carr, so unbedeutend wie alle niederen Bürokraten, zögerte. Weil er sich nirgendwo hinsetzen konnte, trat er nervös von einem Fuß auf den anderen. Vor seinen Augen saß Bradley wie angewurzelt am Boden und hatte die Situation völlig in der Hand.
Schließlich faßte Carr sich ein Herz. „Ich habe eine Vorladung.“
Bradley streckte die Hände aus. „Verhaften Sie mich.“
„Ich bin sicher, das wird nicht notwendig sein.“ Carr ignorierte die Handgelenke, die sich ihm darboten. „Wir brauchen nur eine Stellungnahme von Ihnen. Da die ganze Angelegenheit letztlich von Fragen der Zweckmäßigkeit abhängt, könnte Ihre Autorität vielleicht den Ausschlag geben.“
Bradley, der seit fünfunddreißig Jahren keine Nachrichten mehr gehört hatte, fragte: „Wovon reden Sie?“
„Na, von dem Alpha-Libra-Signal. Dem Puzzle.“
Bradley spürte, daß ihm die Situation zu entgleiten drohte. In dem, was Carr sagte, lag etwas Beunruhigendes. Seine Worte schienen zu vibrieren von einer Bedeutung, die weit über ihre oberflächliche Unverständlichkeit hinausging.
Er schwankte unsicher. Schließlich gewann seine Neugier die Oberhand. „Das müssen Sie mir erklären.“
„Ich kann es Ihnen zeigen.“ Carr zog ein Photo aus der geräumigen Tasche seines Mantels. „Das ist es.“
Wieder wich Bradley zurück, aber schon lag das Photo kühl in seinen Händen, und er konnte nicht umhin, es zu betrachten.
„Ein Funkraster“, sagte er, ohne zu zögern.
„Sie meinen, Sie haben es wirklich noch nicht gesehen?“ fragte Carr verblüfft.
„Wann wurde das aufgefangen?“
„Vor zwei Monaten.“
„Und hat man es entziffert?“
„Nur diesen Teil.“ Carr wies in eine Ecke des Photos. „Wir glauben, dies ist ihr Planetensystem. Und das dort – das muß ihre Heimatwelt sein.“
„Das ist ein Riese“, sagte Bradley.
„Das ist das Problem.“
„Dann müssen sie …“ Er zuckte heftig die Achseln, als werfe er ein schweres Gewicht ab. „Wer weiß?“
„Wir wollen es herausfinden. Ihre Stellungnahme … eine Konferenz des Ausschusses für Wissenschaft und Astronautik … und vielleicht sieht dann alles anders aus.“
Er brauchte nicht zu fragen, wie. Sie hatten einen Fehler begangen, aber wie sollte er das erklären? Carr wollte eine Stellungnahme von ihm, seine Unterstützung, sein Gewicht, aber der Mann, den sie suchten, war nicht mehr hier: Bradley Reynolds, die Legende, der Spaceman, ein Wesen aus einer anderen Zeit. Wie sollte er Carr beibringen, daß jener jüngere Bradley für den älteren Bradley, den alten Mönch, der ihm jetzt gegenübersaß, genau dies war: ein undeutliches Gesicht in einem wirren Strang verblichener Erinnerungen, ein vergilbtes
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