Der Bernstein-Mensch
Fingern. „Regierungen haben nur einen einzigen Zweck, nämlich die Ordnung aufrechtzuerhalten. Du mußt einmal die chinesische Geschichte studieren, den dynastischen Zyklus. Da steckt alles drin. Wir werden gewinnen.“ Sie erhob sich. Der Beweis war erbracht, der Sieg errungen. Corey folgte ihr summend.
„Warte, Mara.“
Sie blieb stehen. „Bist du anderer Meinung?“
Wahrheitsgemäß und voller Trauer sagte er: „Es ist mir gleichgültig.“
„Und was heißt das?“
„Ihr seid unter Arrest, beide, von jetzt an. Ich wünsche nicht, daß ihr euer Quartier verlaßt.“
Wütend straffte sie sich. Die Mauer ihrer Selbstgefälligkeit war endlich eingestürzt. „Du Bastard, das hast du schon einmal versucht.“
„Aber diesmal meine ich es ernst, Mara. Es ist meine Pflicht, hier im Orb die Ordnung aufrechtzuerhalten. Ich kann dich nicht hinauslassen – jetzt nicht.“
„Vertraust du uns nicht?“
„Es geht nicht um euch, es geht um die anderen. Dieser Befehl …“ – er meinte die Nachricht – „… entspricht einer Tötungserlaubnis. Wir haben hier auch unsere Christer. Das Risiko ist mir zu groß.“
„Es ist nicht dein Risiko, es ist meins.“
Düster lächelnd schüttelte er den Kopf. Noch nie hatte er sie so zornig, so menschlich gesehen. „Ich glaube, es wäre besser, wenn du selbst ein wenig chinesische Geschichte studiertest, Mara. Oder Konfuzius. Der Hirte ist verantwortlich für seine Herde.“ Er wies auf die Figuren, die überall standen. „Ich habe nicht die Absicht, mich von dir um das Mandat des Himmels bringen zu lassen.“
„Damit kommst du nicht durch.“
„Bin ich schon.“
Mit einer einzigen Handbewegung fegte Mara die Schachfiguren vom Brett, so daß sie klappernd zu Boden fielen. Sie starrte in das Durcheinander.
Corey summte. „Ich nehme an, du hast beschlossen, unseren Wettstreit mit einer Aufgabe zu beschließen?“
„Dieses Schwein Bradley. Drei ganze Tage mittlerweile.“ In ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme müde und erschöpft. „Es tut mir leid.“ Sie begann, die verstreuten Schachfiguren einzusammeln.
„Vielleicht bist du unfair Bradley gegenüber. Ich habe mich in die Gänge hinausgewagt. Dort herrscht eine häßliche Atmosphäre. Haß weht mit dem Wind.“
„Es gibt keinen Wind an Bord des Orb. Und es ist auch kein Haß – es ist Angst. Einige von ihnen haben Verwandte in Tokio. Andere haben Freunde dort. In ein paar Tagen – wumm. Dann sind sie klüger.“
Maras Zimmer war vollgestopft und unordentlich. Papiere, Karten und Bücher stapelten sich wacklig auf einem niedrigen Tisch. Es gab zwei Betten, einen schmierigen Herd und den Tisch, auf dem das Schachbrett stand. Leise Musik klang schrill aus zwei Lautsprechern an der Decke – ein Jazzquintett. Das Durcheinander schien die rechteckige Klarheit des Raumes zu vernebeln und ihn stickig und luftlos zu machen.
„Was ist das?“ Corey hatte auf dem zweiten Bett etwas Interessantes entdeckt: ein Blatt Papier, zusammengerollt zwischen zwei Büchern – T’ang-Annalen. Der Kasten näherte sich dem Bett.
„Es ist das, was du denkst.“ Mara hatte die Schachfiguren genauso wieder aufgebaut, wie sie gestanden hatten, bevor sie sie vom Tisch gewischt hatte. In vier Zügen müßte sie gewinnen. „Ich habe es selbst gezeichnet.“
„Aber es ist meiner Aufmerksamkeit bisher entgangen.“
„Es war auch nicht hier. Ich habe es aus dem Gedächtnis gezeichnet. Bei dieser Untätigkeit in den letzten Tagen brauchte ich mehr als nur das Schachspielen, um mich zu beschäftigen. Ich dachte, ich löse ihr Puzzle.“ Das Papier zeigte das Raster. „Das dürfte etwas beweisen.“
Corey rollte rumpelnd zum Schachtisch zurück. Eine neue Musik ertönte, Verklärte Nacht, ein alter
Weitere Kostenlose Bücher