Der Bernstein-Mensch
mit Absicht. (Der Kasten spricht selten und nur, wenn es nötig ist.)
BRADLEY: Warum schickt man überhaupt eine Botschaft, wenn man dann lügt? Es ist ziemlich klar, daß sie auf unsere frühen UHF-Sendungen oder auf die aus der Atmosphäre hinausgedrungenen Frühwarnradarimpulse antworten. Ich bezweifle, daß sie jemals mit einer anderen Zivilisation Kontakt aufgenommen haben. Es ist unwahrscheinlich – wir selbst sind so nah.
COREY: Genau das meine ich. Zu nah. Wir kommen sie besuchen – und wir sind allzu seltsam. Also behaupten sie, sie leben in einem Gasriesen, weil sie wissen, daß wir Probleme haben, tief in die Atmosphäre vorzudringen. Ein kluger Schachzug.
VANCE: Wieso? Wenn sie intelligent sind, müßte ihnen an einem Kontakt gelegen sein.
COREY: Mit euch? Sie decodieren euer Fernsehen und sehen, wie ihr euch, peng-peng, gegenseitig erschießt.
BRADLEY: Warum rufen sie uns dann überhaupt?
COREY: Vielleicht ist das das eigentliche Puzzle.
Bradley nickt vorsichtig, und Corey sieht, daß er die Andeutung verstanden hat. Einen Moment lang filtere ich meinen Input und sehe, wie sie sich entfernen, winzig werden, als beobachtete ich sie jetzt von einem hochgelegenen, abgeschiedenen Zufluchtsort aus – einem Beobachtungspunkt auf einer anderen Welt. Niemand erkennt, daß ich so gut, so klar sehen kann. Bradley spricht beruhigende Worte; er weiß, daß Corey sich in einem Zwiespalt befindet. Aber in welchem?
BRADLEY (schließt): … hätte es für einen Zweck, den Rest des Signals, diese meilenlangen Bandaufzeichnungen, so schwer entzifferbar zu machen? Sie mögen Geheimniskrämer sein, aber ich kann mir nicht denken, daß sie schrullig sind. Wie spät ist es?
TSUBATA: Drei Uhr.
BRADLEY: Ich habe eine Verabredung. Bin sowieso froh, wenn ich aus der Vollgravitationsebene herauskomme. Das nimmt mir Monate meines Lebens.
COREY (fertig): Das Offensichtliche ist nicht immer unwahr, Dr. Reynolds.
Aber sie tun seine letzte Bemerkung mit einem Achselzucken ab; sie fürchten, die Implikation zu verstehen. Maras Wimpern zucken, und sie schaut auf den Kasten, ohne daß man es ihr anmerkt. Stille senkt sich herab wie Schnee im Frühling. Sie sehen auf, Stühle scharren, Löffel und Gabeln klappern. Ein Wirbel von Aktivität erhebt sich langsam. Sie brechen das Lager ab. Mara schiebt sich zwischen sie. Sie trappeln hinaus wie eine Herde, Bradley an der Spitze, Tsubata auf der Flanke. Mein Kasten sirrt, wimmert, sirrt.
3
Bradley saß zusammengesunken in seinem Sessel und starrte auf den sauberen, glatten Boden seines Büros. Er wartete darauf, daß die Tür aufgerissen wurde. Mit der Faust hielt er die zerknüllten Überreste der Nachricht von der Erde umklammert, die man ihm erst vor wenigen Augenblicken in die Hand gedrückt hatte. Es war einfach schändlich, dachte er. Erst gestern, beim Essen, hatte er ein Stückchen echter Menschlichkeit in Mara entdeckt, das er bislang nicht für möglich gehalten hatte. In der letzten Zeit hatte so etwas immer wieder durchgeschimmert, bei Gelegenheiten und an Orten, wo er es am wenigsten erwartet hätte. Und jetzt das – diese Nachricht –, es würde alles zerstören. Er seufzte leise. Er hatte sie beide rufen lassen. Niemand sonst würde es ihnen sagen wollen.
Was ihn störte war, daß die Nachricht ihn nicht tiefer und in einer weniger personalisierten Weise betroffen gemacht hatte, aber die Erde schien ihm so fern, und ihre wogenden Probleme, Überbevölkerung und Unzufriedenheit, Furcht und Haß unter den Menschen, alles das interessierte ihn weit weniger als die Kristalle auf Titan. Oft glaubte er, daß er wahrscheinlich nicht zurückkehren würde. Er
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