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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sie verhaftet wurde. Es war zerrissen und schmutzig. Anna begann rigoros, die Nesteln zu lösen und es ihr von den Schultern zu streifen.
    »Hier ist ein Krug mit Wasser. Wasch dich ein bisschen!«
    Mit bebenden Händen folgte Rosa den Anweisungen, schlüpfte dann in das saubere Hemd, das Anna ihr mitgebracht hatte, und zog Hosen und Wams an, die die Gaukler für sie bereitgelegt hatten. Sie war mager geworden in den Tagen, die sie im Turm und im Kerker verbracht hatte, und unter ihren Augen lagen dunkle Schatten.
    »Du siehst wahrhaft leidend aus, du Ärmste.«
    »Und mit etwas Schminke werde ich noch schrecklicher wirken, verlass dich darauf.«
    »Rosa, aber deine Haare werden wir auch opfern müssen!«
    »Ja, ich verstehe!«
    Anna nahm die Schere, die ebenfalls bereitlag, und schnitt ihr beherzt den verfilzten, blonden Zopf ab. Mit ein paar weiteren Schnitten kürzte sie die Haare so weit, bis es einer männlichen Haartracht einigermaßen nahe kam. Es zeigte sich, dass die kurzen Haare sich in kleinen Löckchen um ihr Haupt ringelten und ihr das Aussehen eines Engels gaben, der gelumpt hatte.
    Aus Kleidern und Haaren machte Anna ein Päckchen und reichte es der Nonne nach draußen.
    »Verbrennt es gründlich!«
    »Anna, was hast du getan, damit der Scharfrichter mich freigelassen hat?«
    »Du bist eine Hexe, durch Zauberei bist du entkommen. Man darf dich in Köln nie wieder sehen!«
    »So wird es heißen, aber – Anna, wieso?«
    »Wir haben nicht genug Zeit.«
    »Anna, wir werden uns nie wieder sehen.«
    »Nein, wir werden uns nie wieder sehen. Aber ich werde an dich denken.«
    »Und ich, mein Gott, ich werde jeden Tag für dich beten. Aber was hast du getan?«
    Anna atmete tief ein und wollte sich abwenden, aber Rosa legte ihr bittend die Hand auf den Arm.
    »Wir werden uns nie wieder sehen, Anna!«, wiederholte sie noch einmal.
    »Als ich sechzehn war, Rosa, verkaufte ich meine Unschuld, um überleben zu können. Horsel vermittelte das Geschäft. Der Mann, der dafür gut zahlte, war der Scharfrichter!«
    »Allmächtiger!«
    »Er kannte meine Mutter und achtete sie. Darum erbot er sich, mir das Geld zu geben, nicht der Kupplerin, damit ich es als Mitgift behielte, um in einen Beginenkonvent eintreten zu können. Er gab mir, nachdem der Handel vollzogen war, auch diesen Bernsteinring, erinnerst du dich? Ich glaube, er hat damals – ja, ein schlechtes Gewissen gehabt. Er mag die Dirnen auf dem Berlich beaufsichtigen, aber es widerstrebte ihm wohl, ein Mädchen, das den Wunsch hatte, diesem Elend zu entkommen, entehrt zu haben.«
    »Und ich habe dich dauernd als unerfahren und prüde verspottet.«
    »Das ist doch gleichgültig.«
    »Du bist zu ihm gegangen? Zu dem Scharfrichter?« »Ja, ich bin noch einmal zu ihm gegangen und habe ihm den Ring vorgewiesen.«
    »Und daraufhin hat er mich einfach freigelassen? Nein, Anna, das gewiss nicht.«
    »Ich habe den Preis bezahlt. Aber was ist der schon gegen dein Leben, Rosa. Und nun lass uns nicht mehr davon sprechen.«
    Bevor Rosa noch etwas antworten konnte, hörten sie Stimmen vor dem Wagen.
    »Er ist zurückgekommen! Wir sind noch mal an seinem Haus vorbeigegangen. Es ist erleuchtet, und im Hof werden Wagen abgeladen.«
    Es klopfte an der Tür, und Anna bemerkte einen der Spielleute. Er atmete keuchend, er hatte sich offensichtlich sehr beeilt.
    »Hrabanus ist wieder in Köln!«
    »Dann wird er meinen Brief gelesen haben. Ich muss zu ihm!«, sagte Anna.
    »Ich begleite Euch. Seid Ihr fertig?«
    »Ja. Wir kommen.«
    »Wer sind die Leute, die mich herausbringen? Das sind keine Pilger.« Rosa sah Anna fragend an.
    »Nein. Erinnerst du dich an den Altar der drei Marien?«
    »Gütiger Himmel, ja. Nur zu gut. Ich wollte wissen, wie es meinen Leuten geht.«
    »Nun weißt du es. Rosa, es ist ein Mann unter ihnen, der für dich sorgen will. Sei gut zu ihm.«
    »Werden denn alle Wunder wahr?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Anna verließ den Wagen und winkte Julius zu.
    »Euer kränkelnder Begleiter wünscht Euch zu sehen!«
    Rosa folgte ihr. Ein fröhliches Feuerchen brannte zwischen den Wagen, und sein Schein beleuchtete Julius’ Gestalt. Er nahm den breitkrempigen Pilgerhut ab.
    »Julius. Bist du das wirklich?«
    »Ja, Rosa.«
    Sie ging auf ihn zu und sah zu seinem Gesicht auf. »Ich war so dumm.«
    »Du warst so jung!«
    Doch dann drehte sich Rosa plötzlich mit einem Ruck um und sah Anna an.
    »Heilige Mutter Gottes, der Marienaltar! Anna, o Anna...«
    Rosa sah erschüttert

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