Der Bernsteinring: Roman
anderen Lauf genommen.«
»Natürlich, Herr.«
»Aber – nun ja. Ich kann noch nicht beurteilen, ob euer Handeln richtig war. Zumindest hat es Rosa wohl die Folter erspart. Doch ich habe trotz allem mein Weib verloren. Denn nun scheint es unmöglich, sie wieder in mein Haus aufzunehmen. Eine entflohene Hexe!«
»Ja, Herr.«
»Und Ihr, junger Mann? Meister Julius Cullmann. Ihr habt ohne Zweifel den Nutzen davon.«
»Ich kenne Rosa von Kindsbeinen an, Ratsherr. Wir standen einander nahe, doch ich habe sie verloren, denn ihr Ziel war hoch gesteckt. Damals, als sie jung, fast noch ein Kind, war.«
»Und jetzt?«
»Ich werde mich ihrer annehmen. Sie...«
»Herr, Rosa hat Euch geachtet, aber gesehnt hat sie sich immer nach dem freien Leben der Fahrenden. In den letzten Jahren mehr und mehr.«
»Und betrogen hat sie mich zudem auch.«
»Sie war ungebärdig, aber ich glaube nicht, dass sie Euch betrogen hat, Herr.«
»Marcel ist ein gut aussehender Mann vongewinnendem Wesen. Ich hätte es mir denken können, wie sehr sie Gefallen an seiner Art fand.« Hrabanus ging im Raum hin und her. »Wird sie bei Euch bleiben, Meister Cullmann?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe es.«
Hrabanus stand auf und legte dem Sänger die Hand fest auf die Schulter.
»Ich habe sie nicht aus Liebe geheiratet. Das tut unsereins selten. Ich hatte mir Erben erhofft, aber... Es ist nicht ihre Schuld, dass sie nicht empfangen hat. Mein Erbe wird Carolus sein. Ich bedauere vieles, auch, dass Rosa mich verlässt. Sie hat trotz allem Heiterkeit in mein Leben gebracht. Nun, junger Mann, es mag dennoch die beste Lösung für sie sein, wenn sie mit Euch zieht.«
»Unser Leben ist manchmal unsicher und beschwerlich, aber es bietet auch Vorteile. Ich bin ein guter Sänger, Ratsherr, und verdiene gutes Geld damit. An Essen und Kleidung wird es Rosa nie mangeln.« Und lächelnd fügte er hinzu: »An meiner Liebe ebenfalls nicht.«
»Dann sorgt nun Ihr für sie, Meister Cullmann. Aber lasst uns jetzt andere Dinge bedenken. Es wird morgen einen Aufruhr geben, wenn bekannt wird, dass die Gefangene ausgeflogen ist. Anna, Meister Cullmann – wie habt ihr beide das bewerkstelligt? Wer weiß noch davon? So etwas geht nicht ohne Bestechung!«
»Das braucht Euch nicht zu kümmern, Herr.«
»Das muss mich sehr wohl kümmern, Anna. Denn man wird mir Fragen stellen, und wenn ich die zufriedenstellend beantworten soll, muss ich wissen, wer in dieses Komplott verwickelt ist.«
»Es ist besser, Ihr sagt es ihm.« Julius sah Anna ernst an. »Er hat Recht. Er muss es wissen.«
Sie schüttelte den Kopf und sah zu Boden.
»Anna, ich habe mir meinen Teil zusammengereimt. Wenn es Euch peinlich ist, werde ich es ihm sagen. Dann wartet draußen. Ihr solltet aber wissen, Ihr genießt für Eure Tat meine höchste Achtung.«
»Achtung ist das Letzte, was ich dafür verdiene.« Hrabanus sah Anna durchdringend an: »Kind, was hast du getan?«
»Lasst nur, Julius. Ich sage es ihm selbst.«
Und zum zweiten Mal an diesem Abend berichtete Anna von ihrer Beziehung zu Falkomar, dem Scharfrichter.
»Großer Gott!«, sagte Hrabanus leise, als sie geendet hatte.
»Falkomar wird schweigen. Er hat damals geschwiegen, er wird mich auch heute nicht verraten.«
»Ich kenne Falkomar. Er hat sich ein paar Mal als Knocheneinrichter um meine Gesellen verdient gemacht. Sein Geschäft ist grausam, er selbst ist es nicht, was ungewöhnlich ist. Bei den Schöffen und im Rat genießt er Ansehen, auch wenn er gefürchtet ist. Aber wer fürchtet nicht den Mann, der das Urteil vollstreckt. Vor allem, wenn es der Tod ist. Ich nehme an, wir können uns in der Tat auf ihn verlassen.«
»Und nun, da Ihr wieder hier seid, und die Angeklagte sich durch Flucht der Gerechtigkeit entzogen hat, Ratsherr, solltet Ihr den wahren Schuldigen präsentieren. Es würde das Publikum von der Sensation der Hexenjagd ablenken.«
»Wie soll ich das verstehen, Meister Cullmann?«
»Ich bin Sänger, Geschichtenerzähler, ich weiß, wie man die Stimmung der Zuhörer anheizen kann und auch, wie man sie ablenkt. Es bekäme Euch, und vor allem Frau Anna, nicht besonders gut, wenn dieser Fall ungeklärt bliebe. Gerade der Verdacht, Rosa habe sich in EuremHaus mit Zauberei beschäftigt, wirkt keinesfalls vertrauenswürdig. Den Büchsenmeister als Täter vorzuführen, hätte Vorteile.«
»Marcel le Breton bin ich zutiefst verpflichtet.« »Ja, Herr, das seid Ihr wohl«, sagte Anna.
»Und eure Beschuldigung
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