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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Aber dann reichte sie ihn mit einer spontanen Bewegung an Rosa weiter.
    »Nimm du ihn.«
    »Nein, Anna. Der gehört dir. Du hast ihn gefunden.«
 »Ich habe schon einen Ring...«, sagte Anna unsicher.
 »Dann hast du jetzt zwei. Komm, wir wollen uns be
    eilen, damit wir zurück sind, ehe die Sonne untergegan
    gen ist.«
    Sie vergruben die beiden Locken, die blonde und die schwarze, und legten sorgsam das Stückchen Grassode wieder darüber.
    »Wir wollen Freundinnen sein!«, sagte Anna und nahm Rosas Hand.
    »Wir sind Freundinnen, Anna. Bis ans Ende der Zeit.«
    Rosa drückte sie an sich, und Anna erwiderte tief bewegt diese Umarmung. Es war das erste Mal, dass ihr Rosa auf diese Weise ihre Zuneigung gezeigt hatte.
    In den letzten Strahlen der Sonne gingen sie schweigend am Waldrand entlang. Kurz bevor der Pfad in die Felder abbog, hörten sie den dumpfen Hufschlag eines Pferdes auf dem Waldboden. Zwischen dem niedrigen Gehölz tauchte eine Reiterin auf, und als sie der beiden Mädchen ansichtig wurde, zügelte sie ihr Pferd.
    Anna und Rose hielten den Atem an.
    Die Reiterin saß auf einem braunen Zelter und trug ein laubgrünes Kleid.
    »Ehrwürdige Schwestern!«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Ach, könnt Ihr mir sagen, wie ich zum Zehnthof finde? Ich habe den Weg verloren.«
    Rosa und Anna konnten sie trotz ihrer sehr irdisch wirkenden Worte nur anstarren. Ein wenig irritiert spielte die Fremde mit ihrer Reitgerte.
    »Was ist, habe ich Euch erschreckt?«
    »Nein, edle Dame.« Anna hatte sich etwas gefasst. »Nur – Ihr kamt uns vor, wie aus einer alten Ballade entsprungen.«
    Zu ihrer Überraschung sah die Reiterin auf ihr Kleid und fing hell an zu lachen.
    »Oh, ich weiß, was Ihr meint, ehrwürdige Schwestern.« Sie kicherte noch einmal, und es klang wie das Läuten der Silberglöckchen am Zaumzeug des Pferdes. »Thomas der Reimer. Nein, nein, keine Angst, ich willEuch nicht ins Reich der Feen entführen. Mein Name ist
 Thekla von Spangenberg, und ich weile hier auf Besuch.«
    »So kennt Ihr die Geschichte auch?«, fragte Rosa.
    »Ich hörte sie unlängst, auf dem Markplatz zu Nürnberg. Ein Spielmann trug sie vor – und ich eitler Fratz hatte darauf nichts Besseres zu tun, als mir dieses grüne Kleid schneidern zu lassen.«
    »Ein junger Spielmann, der zur Laute sang, mit braunen, langen Locken?«
    »Ja, Schwester. Ein solcher. Ist er auch hier durchgekommen? Oh, wie klein doch die Welt ist.«
    »Julius Cullmann ist sein Name. Und er ist...«
    »Meine Freundin war tief beeindruckt von seiner schönen Stimme«, fiel Anna ein, damit Rosa nicht weitersprach.
    »Ja, sie war zu Herzen gehend.«
    »Wisst Ihr, welche weitere Route er genommen hat?«
    Ein kleines Zwinkern in den Augen der Fremden verriet, was sie dachte. Sie mochte wohl vermuten, dass die jungen Mädchen in der geistlichen Tracht dem Zauber des Bänkelsängers erlegen waren. Aber sie war gutherzig und freundlich, und darum sagte sie: »Ich hörte es zufällig, sie wollten den Winter südlich der Alpen verbringen. Eine beschwerliche Reise zwar, aber der junge Mann sah gesund und kräftig aus, also wird er wohl sein Ziel erreichen. Ob ich meines allerdings noch vor Anbruch der Dunkelheit erreiche, hängt nun von Euch ab. Wo finde ich den Zehnthof?«
    »Folgt diesem Pfad, edle Dame, dort hinten, an den drei Birken, verzweigt er sich. Schlagt den rechten Weg ein, dann ist es lediglich eine halbe Meile, und Ihr seht schon das Gehöft.«
    »Den rechten Weg, ja, ich werde ihn nehmen. Und Ihr?«
    »Wir, edle Dame, befinden uns schon auf dem rechten Weg«, sagte Anna und konnte das Zucken ihrer Lippen nicht verhindern. Die Heiterkeit in ihr drohte überzuquellen.
    »Ah, natürlich. Der Eure wird der rechte sein. Nun, habt Dank, ehrwürdige Schwestern. Und lebt wohl.«
    Rosa hingegen war sehr ernst geworden und sagte mit großer Aufrichtigkeit: »Gott segne Euch, edle Dame.«
    »Und Maria beschütze Euch«, fügte Anna hinzu.
    Sehr höflich verbeugte sich die Fremde im Sattel und setzte dann ihren Weg fort. Im weichen Töltgang entfernte sich der Zelter, und die beiden Mädchen hörten noch lange die Silberglöckchen in der sinkenden Dämmerung klingeln.
     
    Zwei Tage nach der Rückkehr von der Pilgerfahrt erhielt Annas Stundenbuch ein neues Bild – eine rothaarige Dame in laubgrünen Gewändern auf einem braunen Zelter ritt am Waldrand entlang. Die drei Marien wachten über sie. »Du füllst mein Herz mit Freude, größer als wenn sie Weizen und Wein

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