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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sie so unruhig machte.
    Anna hingegen sprach über ihre vielfältigen Aufgaben als Schreibmeisterin. Die Anforderungen, die die Priorin und die Äbtissin an sie stellten, waren hoch. Sie hatte Verzeichnisse und Listen aufzusetzen, Verträge und Urkunden für das Stift zu kopieren, Briefe zu schreiben und den Kanonissen Unterricht im Schönschreiben zu erteilen.
    Sie unterhielten sich beinahe den ganzen Nachmittag miteinander, und doch schien es Anna, als hätten sie einander nichts gesagt. Schließlich nahm sie zwei der Bücher aus dem Stapel mit, den Hrabanus für sie bereitgelegt hatte und verabschiedete sich. Ihr eigentliches Anliegen hatte sie nicht zur Sprache bringen können. Da gab es nämlich ein hässliches Gerücht, das leise, ganz leise die Runde machte. Es besagte, die Ratsherrin Rosa führe in Abwesenheit ihres Gatten einen fröhlichen Lebenswandel als Schlupfhure. Anna war trotz der Jahre im Stift zu lebenserfahren, um nicht zu wissen, dass eine ganze Reihe von Frauen, und nicht nur solche aus den unteren Schichten, gelegentlich ein Zubrot durch Hurerei verdienten. Es gab genügend Kupplerinnen in der Stadt, die ihnen dabei gerne behilflich waren. Sie waren auch, wie sie wusste, durchaus behilflich dabei, gelegentliche unerwünschte Folgen zu beseitigen. Wie weit sich Rosa aber auf dieses Gebiet hervorgewagt hatte, war dem Gerücht nicht zu entnehmen. Möglicherweise beruhte es auch auf schlichter Gehässigkeit. Rosas Auftreten als reiche Frau war nicht immer von Verbindlichkeit geprägt, und mit ihrer hochfahrendenArt mochte sie sich Feindinnen geschaffen haben. Anna bedauerte, dass die alte Verbundenheit mit ihrer Freundin in den vergangenen Monaten einer zunehmend größer werdenden Kühle gewichen war. Denn sie hätte auch gerne mit ihr über Carolus gesprochen, den jungen Partner, der an Hrabanus Seite arbeitete. Sie erinnerte sich noch daran, wie sie ihn bei Rosas Hochzeit kennen gelernt hatte, einen freundlichen, Ruhe ausstrahlenden, untersetzten Mann mit semmelblonden Haaren. Später hatte sie ihn noch ein-, zweimal getroffen, aber sich nur wenig mit ihm unterhalten. Jetzt hätte sie von Rosa, die wesentlich häufiger mit ihm zusammentraf, gerne mehr über ihn erfahren. Aber ihre Zurückhaltung verbot derartige Vertraulichkeiten.
    Valeska war an ihrer Seite, als sie aus dem Haus in der Sternengasse auf die Straße traten. Sie hatte in der Küche den Klatsch mit der Köchin genossen und wie es aussah, auch einen süßen Kuchen erhalten. Sie leckte sich mit strahlender Miene noch die Krümel von der Lippe. Dröhnend begannen die Glocken zu läuten, als sie sich der Hohen Straße näherten.
    »Herrin, es heißt, der Rentmeister von der Stasse solle heute hingerichtet werden. Deshalb läuten die Glocken!«
    »Ich habe es auch gehört, Valeska. Er hat die Stadt geschädigt und sich aus der Renttruhe bereichert. Nun ereilt ihn die gerechte Strafe.«
    »Können wir nicht zum Heumarkt gehen und zuschauen?«
    »Nein.«
    »Aber Herrin, es ist eine großartige Sache. Der von der Stasse soll sehr stolz sein. Und sonst sind die Hinrichtungen doch immer vor den Toren. Da komme ich nie hin!«
    »Was erfreut dich am Anblick des Todes, Mädchen?« »Nichts. Aber ich will den Henker sehen.«
    »Ich nicht!«
    Aber die Entscheidung wurde Anna abgenommen. Als sie die Straßenkreuzung erreicht hatten, musste sie feststellen, dass ein Weitergehen zum Stift beinahe unmöglich war. Die Prozession der Schaulustigen riss sie mit Richtung Heumarkt, wo schon am Morgen die Tribüne aufgebaut worden war, auf der die Enthauptung erfolgen sollte. Sie wurden an eine Hauswand gedrängt, als eine Gruppe Bewaffneter den Weg frei machte. Der Schuldige, ein stiernackiger Mann von imponierender Gestalt, trug ein kostbares Gewand und war offensichtlich von der Folter nicht so geschwächt, um nicht noch selbst zur Richtstätte gehen zu können. Die Fahrt auf dem schwarzen Schinderkarren blieb ihm damit zwar erspart, aber begleitet wurde er von den Bütteln, um zu vermeiden, dass er noch im letzten Moment sein Heil in der Flucht suchte. Ihm folgten die Schöffen und die Vertreter der Zünfte in ihren Amtsroben.
    Als sie vorüber waren bahnte sich Valeska, geschmeidig und geübt im Drängeln, ihren Weg durch die Menschen, und notgedrungen folgte Anna ihr, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. So kam es, dass sie nahe an dem schwarz verkleideten Gerüst zum Stehen kam, und eine Hand auf Valeskas Schulter drückte, um zu verhindern, dass

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