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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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das der Anfang vom Ende für ihn war; dass er es allein niemals schaffen würde.
    Seine Mutter hatte ihn gekannt. Einer der einzigen beiden Menschen, die ihn gekannt hatten.
    Jahrelang hatte sie ihn wissen lassen  – mit ihrem Blick, mit ihrer Berührung, durch die Geschichten, auf die sie ihn beiläufig in der Zeitung hinwies  –, dass sie Bescheid wusste und sogar verstand. Und obgleich sie nie richtig darüber gesprochen hatten, hatte es geholfen, das zu wissen.
    15-Jähriger gesteht Brandstiftung aus Prüfungsangst.
    Chorknabe sticht pädophilen Priester mit 26 Stichen nieder.
    Ermordeter Triebtäter stellte den eigenen Kindern nach!
    Sie hatte die Zeitung neben ihm auf den Tisch geworfen und düster gemurmelt: »Na, der hat gekriegt, was er verdient hat!« oder: »Der arme Junge! Hätt er’s doch nur jemandem erzählt.«
    Danny sagte dann nichts. Es gab nichts, was er gern erzählt hätte. Allein zu wissen, dass sie ihn trotzdem liebhatte, war genug. Während all der bitteren Tränen, den Jahren des finsteren Jähzorns, der Rasierklinge am Handgelenk, liebte sie ihn. Während andere sich auf dem Schulhof von ihm zurückzuziehen begannen, ihm den Ball nicht mehr zuspielten, flüsterten, wenn er ein Zimmer verließ … Während alldem hatte Yvonne Marsh ihn geliebt wie ein großer Anker an einem kleinen Boot in stürmischer See.
    Und dann hatte sie angefangen… einfach zu vergessen.
    Zu vergessen, dass sie ihn liebhatte.
    Zu vergessen, dass sie ein Geheimnis hatten.
    Sogar dass sie seine Mutter und er ihr Sohn war.
    Es war langsam geschehen, stückweise, aber geschehen war es. Und Danny stellte fest, dass er jetzt der Anker sein sollte. Dass er sie anziehen, ihr zu essen geben, auf sie aufpassen, sie einsperren, ihr ins Freie folgen, sie zurückholen sollte …
    Ein Boot ist kein Anker. Yvonne Marsh war tief unter den Wogen, mit gerissenem Tau, das mit den Gezeiten dahinwallte. Manchmal bekam er dieses Tau zu fassen und fühlte
ihren alten Zug. Größtenteils jedoch war Danny Marsh hilflos den Wellen ausgeliefert, nachdem der Verstand seiner Mutter auf See verschollen war.
    Selbst Jonas hatte die Trosse losgelassen, die ihn am Rest der Welt vertäute.
    Jetzt, als Danny in dem kleinen Zimmer saß, in dem er aufgewachsen war  – wo hinter der Tür noch immer ein verblichenes Poster von Uma Thurman in Pulp Fiction hing  –, dachte er über Jonas Holly nach.
    Statt dass ein Geheimnis sie fester zusammengeschweißt hätte, war Jonas der Erste gewesen, der sich zurückgezogen hatte.
    Kein Angeln mehr, keine verrückten Mutproben, kein Übers-Moor-Galoppieren. Einmal, als Jonas ein verletztes Kaninchenjunges in einem Schuhkarton mit in die Schule gebracht hatte, hatte er sich mit wachsamer Miene abgewandt, damit Danny es nicht streicheln konnte, so wie alle anderen Kinder es getan hatten.
    Als Danny schließlich den Mut aufgebracht hatte, ihn zu fragen, was los sei  – obwohl er es wusste   –, hatte Jonas sich auf die Lippe gebissen und versucht, um ihn herumzuflitzen. Damals war Jonas kleiner als er gewesen, fast ein Jahr jünger, und Danny hatte ihm die Hand gegen die Brust gestemmt und ihn aufgehalten. Jonas hatte die Hand weggeschlagen, und ehe sie wussten, wie ihnen geschah, prügelten sie sich. Eine richtige Prügelei. Keine Auseinandersetzung wegen eines Elfmeters oder eines kaputten Tamagochis  – eine Keilerei mit blauen Flecken und Blut und Treten und Kratzen, die lange genug andauerte, dass die Lehrer gerufen wurden und dann auch kamen. Selbst nachdem Mr. Yates, der Sportlehrer, sie auseinandergebracht hatte, versuchten sie beide immer noch, mit aller Kraft zu treten, und Jonas hatte eine Handvoll Kleingeld aus der Tasche seiner grauen Flanellhose geholt und es Danny ins Gesicht geschmissen.
    Nichts hatte ihm jemals so wehgetan. Zumindest damals
nicht. Nicht bis zu dem Tag, als seine demenzkranke Mutter vor Entsetzen schrie und drohte, die Polizei zu rufen, wenn er nicht sofort ihr Haus verließ.
    Noch immer konnte er fühlen, wie ihm die Münze die Stirn aufriss, und den Schock und die schiere Ungerechtigkeit des Ganzen. Er wusste, dass er das Richtige getan hatte. Selbst wenn er es auf die falsche Art getan hatte. Es war doch nicht seine Schuld, dass alles schiefgegangen war. Warum konnte Jonas es nicht so sehen?
    Jetzt seufzte Danny, stand auf und schaute in den gesprungenen Spiegel des Kleiderschranks. Die Narbe war immer noch da, über seiner linken Augenbraue.
    Danny überlegte,

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