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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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kaltblütigen Killer werden ließ. Den größten Teil der Zeit hatte er damit verbracht, hektisch durch die Sparte Warum? zu irren, und erst als er den Hügel hinunter ins Dorf gegangen war, war ihm klar geworden, dass die einzige Frage, die wirklich wichtig für ihn war, Wer? lautete.
    Solange der Mörder nicht gefasst war, konnte er spekulieren, bis er schwarz wurde; er würde niemals die Wahrheit herausfinden.
    Jonas war jetzt überzeugt, dass der Mörder ein Mann aus dem Ort war. Der Täter hatte gewusst, dass Margaret Priddy gelähmt im Schlafzimmer auf der Rückseite ihres Cottages lag. Er hatte Yvonne Marsh in einem Bach zurückgelassen, der von der Straße aus kaum zu sehen war, und er war durch das einzige Fenster in der Sunset Lodge gestiegen, das Rupert Cooke aus Geiz nicht hatte modernisieren lassen. Dann hatte er Gary Liss’ Leiche in einen riesigen Vorhang gewickelt, der seit Jahren hinter dem Klavier lag, dort aber kaum zu sehen war. Jonas erinnerte sich undeutlich, den Vorhang schon früher bemerkt zu haben  – wahrscheinlich, weil die Sunset Lodge zu seinem Streifengebiet gehörte, zusammen mit Schulen, Pubs und den Gemeindesälen.
    Der Mörder musste von hier sein, was bedeutete, dass Jonas ihn kennen musste. Er kannte jeden hier in der Gegend.
    Wie würde er wohl aussehen?
    Wenn Jonas ihm lange genug in die Augen starren könnte, würde er dann den Killer zurückstarren sehen? Würde sein
Blick brennen, wie Weihwasser einen Dämon verbrennt? Würde Jonas spüren, wie kalter Glibber seine Knochen ausfüllte, und in Erkenntnis des Bösen zurückschrecken?
    Er wusste es nicht.
    Wie denn auch? Er hatte doch keine Erfahrung.
    Also brauchte er Hilfe.
    Ein rhythmisches Geräusch und ein schemenhaftes Pendeln in seinem Blickfeld holten ihn langsam wieder zum Rand des Fußballplatzes zurück und erinnerten ihn daran, wieso er hier Halt gemacht hatte. Er war auf dem Weg zur mobilen Einsatzzentrale gewesen, um das anzutreten, was Marvel ihm als Dienst zuzuweisen gedachte.
    Auf der Halfpipe-Rampe zog Steven Lamb gemächliche Bahnen und wendete jedes Mal gekonnt oben am Rand, nur mit dem hypnotisierenden Schnurren seines Skateboards als Begleitmusik. Er hatte die Rampe mit einem rostigen Spaten freigeschaufelt, der jetzt aufrecht in dem daraus resultierenden Schneehaufen stak. Stevens Anorak hing über dem Griff.
    Jonas ging über den knirschenden Schnee und fragte sich, ob er den Spuren des Mörders folgte. Der Tag war bewölkt und versprach noch mehr Schnee  – ganz anders als der strahlende Morgen, der das Grauen von Yvonne Marshs Tod begrüßt hatte.
    Zwei Meter vor der Rampe blieb er stehen und sagte: »Hi.«
    »Hi«, antwortete Steven, den Blick bereits auf das gegenüberliegende Ende der Rampe geheftet, auf die nächste Kehrtwende, die nächste Bahn. Ein Ausdruck heiterer Gelassenheit lag bei dem steten Rhythmus des Ganzen auf seinem Gesicht.
    Jonas sah zu, wie der Junge mit vollendeter Anmut vor-und zurückschwang. Das leichte Beugen der Knie vor jedem Bergaufrollen war die einzig sichtbare Anstrengung in der fast ununterbrochenen Bewegung.
    Er wünschte, er müsste das hier nicht tun.
    »Wie geht’s dir?«, fragte er.

    »Gut, danke«, antwortete Steven.
    »Hab gedacht, ich frag mal. Nach der Geschichte neulich.« Wieder dachte er daran, wie Steven neben dem Bach auf die Knie gesackt war, die dunklen Augen riesengroß im kalkweißen Gesicht.
    Steven rollte zum Rand der Halfpipe hinauf, hing dort einen kurzen Moment lang mit gestreckten Beinen in der Schwebe, trotzte der Schwerkraft … und dann schwenkte er das Board herum und rollte in der Gegenrichtung an Jonas vorbei. Jonas sah, dass er den Mund zusammengekniffen hatte und dass der fehlende Blickkontakt jetzt mehr nach Ausweichen aussah.
    »Ich weiß, was dir passiert ist, Steven«, sagte er leise.
    Obgleich er es sich niemals hatte anmerken lassen, wusste Jonas, dass Steven Lamb vor vier Jahren beinahe durch die Hand eines Serienmörders ums Leben gekommen war, als er versucht hatte, den Leichnam seines verschwundenen Onkels Billy zu finden.
    Diesmal machte der Junge nicht kehrt. Er ließ sich von seinem Board rückwärts die Rampe hinuntertragen und auf der anderen Seite halb wieder hinauf, bevor er langsam den Fuß auf den Boden senkte und sich von Neuem abstieß.
    »Können wir uns mal darüber unterhalten?«
    Steven antwortete nicht, sein Blick war starr auf die Rampe gerichtet, auf deren oberen Rand  – doch jetzt war eine

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