Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
Vom Netzwerk:
verschwörerischer Vollidiot, sondern Danny Marsh war laut Joy Springer auch noch der Mörder. Bei dieser Behauptung wurde sie laut und lallte undeutlich, ohne Marvel je irgendeinen echten Beweis zu liefern. Dann verlor sie ein bisschen den Faden und verfranzte sich auf einer paranoiden Tangente, zu der dieser Arsch von Testamentsvollstrecker, die miese Arbeit des Bauunternehmers beim Umbau der Ställe und irgendein idiotischer Tierarzt gehörten, der gesagt hatte, ihre Katzen müssten entwurmt werden.
    Nach drei weiteren Gläsern Cinzano stand Joy Springer plötzlich auf und eierte zu ihrer Anrichte hinüber. Sie öffnete die Tür, was eine Papierlawine auslöste, alte Zeitschriften, Karten und Fotos.
    »Roberts Kram«, nuschelte sie. »Willich nich’ wegschmeiß’n. Erinnerungen.«
    Wieder staunte Marvel über die schiere Öde dieser Erinnerungen. Wer zum Teufel würde denn über so was nachgrübeln wollen?
    Ein Glas mehr gestattete ihr zu finden, wonach sie suchte, und sie reichte Marvel ein Foto.
    »Dasis’ Danny Marsh als kleiner Junge«, lallte sie. »Der kleine Scheißer wär im Gefängnis, wenn ihr euern Job richtich gemacht hätt, und würd nich hier wohn unds mir unner die Nase reim.«
    Obwohl auf dem Foto zwei Jungen zu sehen waren, beide ungefähr zehn Jahre alte, erkannte Marvel Danny sofort. Das Foto war in der Anrichte nicht verblasst, und Dannys braunes Haar war anscheinend sein ganzes Leben lang immer
gleich geschnitten worden  – hinten und an den Seiten kurz. Er sah nicht aus wie ein kleiner Scheißer, er sah aus wie ein freches, fröhliches Kind und hielt die Zügel eines zottigen rotbraunen Ponys. Das Foto war bei einem Turnier aufgenommen worden, und beide Jungen trugen weiße Hemden und gestreifte Schlipse. Der zweite Junge war kleiner und hielt ein braunes Pony, von dessen Trensenzaum eine rote Schleife flatterte.
    Marvels Finger zuckte, als er Jonas Holly erkannte. Diese großen braunen Augen und die Nase, die für sein Alter bereits zu gerade war. Nur der Mund war hier anders, und Marvel ging auf, dass das daran lag, dass er Jonas Holly noch nie hatte lächeln sehen.
    Sofort dachte er an das tote Pony oben auf dem Hochmoor. Daran, wie es Jonas Holly auf fast krankhafte Weise widerstrebt hatte, das Tier anzufassen  – wie er sich tatsächlich geweigert hatte, ein Bein zu nehmen und zu helfen, den Kadaver von der Straße zu ziehen. Und doch hatte er hier einen Arm lässig über den Hals des Ponys gehängt, ein Büschel Mähne in der kleinen Hand, und lehnte sich an das Tier wie an einen Freund. Wie sagten die Kids heute? Beste Freunde für immer und ewig. Es sah aus, als sei das braune Pony genau das für Jonas.
    Was hatte sich in Jonas Holly verändert, dass er von einem Jungen, der Pferde liebte, zu einem Mann geworden war, der nicht einmal ein totes Pferd anfassen konnte?
    »Kann ich das behalten?«, fragte er Joy Springer.
    Doch er hatte das Foto so lange betrachtet, dass sie eingeschlafen war und schnarchte, die Hände mit den blank glänzenden Knöcheln noch immer um ihr leeres Glas gelegt.
     
    Aus dem Schatten draußen vor der Küche sah Reynolds zu, wie Marvel sein Glas leer trank und dann unter viel »Scheiße« und »Verdammter Mist« über das vereiste Kopfsteinpflaster zu seinem Zimmer zurückschlitterte.

     
    Es war Elizabeth Rice zu peinlich gewesen, Alan Marsh zu fragen, ob sie die Kleidungsstücke seines toten Sohnes nach einem fehlenden Knopf absuchen dürfe, damit er eindeutiger als Mörder gebrandmarkt werden konnte. Eindeutiger, als sich zu erhängen und ein schriftliches Geständnis zu hinterlassen, dachte sie einigermaßen gereizt. Doch da Marvel ihr aufgetragen hatte, genau das zu tun, tat sie es eben jetzt, um kurz vor Mitternacht, bei Taschenlampenlicht und heimlich.
    Während Alan Marsh nebenan in einem Schlaf lag, den der hiesige Surfer/Arzt und seine magische Nadel herbeigeführt hatten, schlich sie sich ins Zimmer seines toten Sohnes und begann, ihre Pflicht zu tun.
    Danny Marsh war für einen jungen Mann, der nie bei der Armee gewesen war, erstaunlich ordentlich gewesen. Viele Kleidungsstücke hatte er nicht besessen. Vielleicht ein Dutzend Hemden und T-Shirts, eine Winterjacke, eine Sommerjacke und einen billigen schwarzen Anzug. Sie erinnerte sich, dass er den bei der Trauerfeier für seine Mutter getragen hatte.
    Alle Knöpfe waren da.
    Ein Paar schwarze Springerstiefel mit Stahlkappen hatten zu dem Polaroidfoto von dem staubigen Fußabdruck gepasst,

Weitere Kostenlose Bücher