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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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Haar berührte, und dabei wurde er die ganze Zeit niedergedrückt, und ihm wurde befohlen, ja nicht zu heulen, während ihm Unsagbares angetan wurde.
    Unsagbar.
    Er erschauerte an Lucys Rücken.
    »Jonas?«
    Aber Danny hatte es gesehen. Danny hatte es gewusst. Vielleicht war Danny sogar dasselbe passiert. Er wusste, dass es so sein musste, denn obwohl sie niemals davon gesprochen hatten  – weil es unsagbar war  – , hatte Danny etwas unternommen.
    Er hatte den Stall niedergebrannt.
    Jetzt, zwanzig Jahre später, dröhnte Jonas’ Kopf, und er zuckte beim Erinnern wie ein Hund.

    Den Mittelgang zwischen schwelenden Boxen hinunter, das Dach eingestürzt und die Türen aufgerissen, damit die Ponys fliehen konnten. Irgendjemand hatte das getan. Jemand, der sie liebte, hatte an die Ponys gedacht.
    Doch die Ponys waren nicht geflohen. Voller Angst vor den Flammen hatten die Ponys geschrien und waren im Feuer umgekommen, genau wie Robert Springer. Sieben traurige Kadaver, immer noch in ihren Boxen. Manche so verkohlt, dass nur ihre Beine aus einem Aschehaufen hervorragten, manche kaum angesengt, vom Rauch getötet.
    Tigger war halb verbrannt, aber Taffy war unversehrt  – an der Rückwand seiner Box zusammengebrochen, die Beine unter den Körper gezogen, den klugen kleinen Kopf anmutig gesenkt und die weichen Lippen auf den Beton gepresst, als läge er auf einer Sommerwiese und knabbere an den Gänseblümchen.
    Der achte Kadaver war bereits von einem Wagen abgeholt worden, mit einem Laken über dem geschwärzten, grinsenden Schädel.
    Der Geruch von Tod war überwältigend.
    Als er sich durch einen verschwommenen Tränenschleier an seinen Freund gewandt hatte, um im geteilten Leid Trost zu finden, hatte Jonas stattdessen bleichen Schrecken gesehen  – und Schuld.
    »Wieso sind sie denn nicht weggelaufen, Jonas? Sie hätten doch weglaufen sollen!«
    Die Ponys waren seinetwegen umgekommen. Weil er zu schwach gewesen war, es zu verhindern.
    Jonas fing an zu zittern.
    »Liebling, was ist denn los?«
    »Danny Marsh ist tot«, sagte er grob. Und dann  – endlich  – begann er zu weinen.
     
    »Ich bin froh, dass er tot ist«, bemerkte Joy Springer. »Um den isses nich’ schade.«
    Marvel war so überrascht, dass er Cinzano auf den Küchentisch schwappte. Das Zeug war gar nicht so übel, wenn man erst mal auf den Geschmack gekommen war.

    Joy saß auf einem Küchenstuhl, die Ellenbogen aufgestützt und das Glas vorgestreckt, damit er nachschenken konnte. Der krause graue Dutt der alten Frau hatte sich aus seinen Klammern gelöst, und sie sah aus wie Albert Einstein nach einem Elektroschock.
    »Wieso?«, fragte er  – und das tat Marvel bei Joy Springer nicht oft. Während ihrer fast allabendlichen Sitzungen hatte er rasch gelernt, bestimmte Wörter nicht zu verwenden. Wieso stand ganz oben auf der Liste, wegen der Verschlingungen und Erklärungen, die darauf folgten. Der absolute Killer allerdings war Wann , da das Joy gestattete, sich weitschweifig über das auszulassen, was anscheinend die letzten hundertfünfzig Jahre ihres Lebens waren  – und nichts davon interessierte Marvel auch nur im Geringsten. Einen Abend hatte sie ihn einer Dauerfolter unterzogen, indem sie die Namen ihrer sämtlichen Freundinnen und Freunde aufgezählt hatte, von der Grundschule an. Keine Geschichten, keine Beschreibungen, keine einsichtsvollen Erinnerungen oder entscheidenden Momente  – nur eine Litanei von Namen ohne jede Bedeutung, wie eine öde Aufzählung biblischer Nachkommen.
    »Ach, nichts«, antwortete sie nach einer kurzen Pause und wackelte auffordernd mit ihrem Glas.
    Augenblicklich war Marvel fasziniert. Plötzlich gab es etwas, worüber Joy Springer nicht reden wollte.
    »Sie kannten Danny Marsh?«
    »Früher.« Sie zuckte die Achseln. »Ha’m Sie was am Arm, Schätzchen?«
    Doch Marvel zog die Flasche weg und atmete tief durch. »Wann?«
     
    Die Geschichte, die Joy Springer erzählte, war nicht ohne. Eine gute Story muss jeder haben, dachte Marvel, auch wenn es Blödsinn war.
    Es war eine Geschichte von Flammen und Rauch und
Panik und Mord, den der dämliche Gerichtsmediziner als Unglücksfall deklariert hatte, nachdem er gehört hatte, dass Robert Springer sowohl ein leidenschaftlicher Pferdenarr als auch ein leidenschaftlicher Raucher gewesen war. Zwei Hobbys, die man, so schloss Marvel, voneinander trennen sollte, wie Ehefrauen und Freundinnen.
    Nicht nur war der Gerichtsmediziner ein

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