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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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ein Zusammenstoß mit so einem Idioten von Fahrer, der gerade eine SMS an seine Frau geschrieben hatte. Bin unterwegs, bis nachh… Sie war bei der gerichtlichen Untersuchung der drei Todesfälle laut vorgelesen worden.
    Bin unterwegs.
    Wenn das nicht reichte, um jeden wahnsinnig zu machen, dann wusste Jonas nicht, was dazu nötig war.

    Oder war es vielleicht sogar noch früher passiert? Vielleicht war er ja schon immer verrückt gewesen? Wer zum Teufel sollte das wissen? Im Augenblick konnte er sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal das Gefühl gehabt hatte, vollständig klaren Verstandes zu sein.
    Jonas hob eine Hand und sah zu, wie sie zitterte.
    Dann fiel sein Blick auf den Küchentresen dahinter.
    Zwischen dem Wasserkessel und dem Toaster standen zwei Becher. Noch immer stiegen dünne Dampfschwaden daraus auf, und die Teebeutel hingen dicht unter der Oberfläche der dunklen Flüssigkeit wie zwei kleine Ertrunkene.
    Der Mörder hatte Tee gemacht.
    Einen für sich und einen für Lucy.
    Das ergab doch keinen Sinn.
    Überhaupt keinen.
    Wieso sollte ein Mörder …
    Mit einem Gefühl jäher Leere wurde Jonas klar, dass der Mann, den er aus seinem Haus gejagt hatte, nicht der Mörder sein konnte.
    Wer zum Teufel war er dann?
     
    Steven Lamb trug gern Zeitungen aus. Er hatte diesen Job jetzt seit fast drei Jahren  – seit Ronnie Trewell seinen Führerschein gemacht und das Interesse am Exmoor Bugle und der Daily Mail als Mittel zum Zweck verloren hatte.
    Steven gefiel das frühe Aufstehen im Sommer, im Winter ertrug er es. Er mochte den Geruch der Zeitungen, wenn Mr. Jacoby das Plastikband zerschnitt, das die einzelnen Lagen zusammenhielt, und ihm gefielen die flüchtigen Schnappschüsse der Weltnachrichten, die er zu Gesicht bekam, wenn er Mr. Jacoby dabei half, glänzende Werbebroschüren für Schuldenkonsolidierungen und Kreditkarten in jede Zeitung zu legen.
    Am meisten gefielen ihm die elf Pfund fünfzig, die er jede Woche bekam.

    Deswegen hatte er den Job natürlich eigentlich haben wollen. Welcher Junge will nicht Geld verdienen und anfangen, sich etwas zu kaufen? Allerdings hatte er darum kämpfen müssen. Nicht gegen andere Bewerber, denn Mr. Jacoby hatte ihm gesagt, er könne den Job haben, wenn er wolle. Nein, Steven musste gegen seine Mutter und seine Großmutter antreten, um ihre Erlaubnis zu bekommen. Sie wollten nicht, dass er im Dunkeln aufstand und zu Mr. Jacobys Laden ging. Sie wollten nicht, dass er an Winterabenden an irgendwelche Türen klopfte und um das Geld für die Zeitung bat. Sie wollten eigentlich überhaupt nicht, dass er sich draußen aufhielt  – bei Tag oder bei Nacht.
    Sie sagten, es sei gefährlich.
    Die meisten Jungen in seinem Alter hätten höhnisch gelacht und gequengelt und die beiden als kleinliche alte Hühner abgetan, doch Steven begriff, dass es wirklich gefährlich war. Das wusste er genauso gut wie jeder andere, und besser als die meisten Menschen.
    Außerdem wusste er ganz tief in seinem geheimsten Inneren, dass er, wenn er nicht jeden Tag in die Welt hinaus musste, das Haus vielleicht nie mehr verlassen würde. Dass er sich möglicherweise furchtsam drinnen ducken und zu viel darüber nachdenken würde, was vielleicht hätte sein können und was um ein Haar gewesen war.
    Seine Mum und seine Nan hatten sich schließlich dem schieren Druck seiner Beharrlichkeit gebeugt, und Steven hatte vor seinem ersten Arbeitstag die ganze Nacht wachgelegen und vor Beklommenheit gezittert.
    Er hatte eine Therapie gemacht. Wer sie bezahlt hatte, wusste er nicht, doch er argwöhnte, dass es weder seine Mum noch seine Nan gewesen war, denn die hatten ihn ermutigt, so oft wie möglich hinzugehen.
    Doch Steven Lamb wusste trotzdem, was Furcht war.
    Er erkannte sie, wenn sie hinter den hohen Hecken wisperte, die die schmalen Straßen säumten. Wenn sie ihn an einem
warmen Sommerabend allein auf dem Moor erschauern ließ. Wenn sie seine Träume heimsuchte und sich wie ein Schleier über seinen Schlaf legte. Doch er war mittlerweile auch geübt darin, sie abzustreifen, ihr die Stirn zu bieten  – und darin, ihr den Rücken zuzukehren und ihr zu sagen, sie solle doch tun, was sie wolle.
    Jeder Tag, an dem er sich die schwere Zeitungstasche über die Schulter wuchtete, und jede gefaltete Zeitung, die er durch federnde Briefschlitzklappen schob, halfen ihm dabei, der Furcht eine Nase zu drehen.
    So wie das Skateboard, das er sich von den ersten sechzig Pfund kaufte, die er hatte

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