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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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vollständig hatten ihre Massen den Rest des Möbelstücks verschluckt.
    Reynolds beugte sich zu ihm und fragte leise: »Wer hat wohl all die Jaffa-Kekse gegessen?« Es war die erste witzige Bemerkung, die Marvel jemals aus Reynolds’ Mund vernommen hatte.
    Sie unterhielten sich in Cookes Büro keine fünf Minuten lang mit Lynne Twitchett. Wegen ihres fast unverständlichen Somerset-Akzents klang sie wie einer von Marvels Bauerntrampeln, doch sogar Reynolds meinte, dies sei wohl weniger eine irreführende Anomalie als vielmehr das Sahnehäubchen auf ihrem zweifelhaften Intellekt.
    Marvel hatte sehr viel für dumme Menschen übrig. Wenn sie schuldig waren, gestanden sie entweder, oder ihre Lügen waren so durchsichtig, dass an ihrer Schuld niemals Zweifel bestanden. Waren sie unschuldig, so schimmerte das gleichermaßen durch, trotz ihrer Nervosität oder ihres haltlosen Geplappers oder der Bemerkungen, mit denen sie sich versehentlich selbst belasteten. Dumme Menschen waren ein Kinderspiel, und Lynne Twitchett gehörte zu dem Kinderleichtesten, was ihm je untergekommen war. Zudem hatte er sie auf den ersten Blick als Verdächtige abgehakt; der Gedanke, dass Ms. Twitchett sich auf Zehenspitzen an Annette Rogers vorbeischleichen oder sich anmutig auf das Schuppendach schwingen könnte, war drollig. Reynolds bedankte sich bei ihr und entließ sie zurück ins Treibhaus, wo sie zweifellos auf einem Mulch aus den Keksen der Heimbewohner weiterhin wachsen und gedeihen würde.
    Gary Liss fanden sie im Obergeschoss, wo er Betten bezog; ein kleiner, zierlicher Mann von fünfunddreißig. Er hatte dunkles Haar, bräunliche Haut und schmale blaue Augen und sah aus wie ein Zirkusakrobat, den man zu den Bettpfannen abkommandiert hatte und der dort in seinem Element war. Nicht einen Moment lang kam er aus dem Takt,
während sie mit ihm sprachen, und sein militärisch-präzises Bettenmachen war beinahe hypnotisierend. Marvel und Reynolds folgten ihm von Zimmer zu Zimmer und stellten ihre Fragen, und Gary Liss zog Betten ab, bündelte schmutzige Laken, schüttelte frische aus und verpackte dann die Matratzen so sauber und fest darin, als arbeitete er im Geschenkeshop der Pyramide von Gizeh. Marvel fragte sich, wie zum Teufel die alten Leutchen es jeden Abend schafften, sich zwischen Laken und Bettdecke zu zwängen. Innerlich sah er Heimbewohner vor sich, die seit Jahren auf ihren Tagesdecken bibberten, zu gebrechlich, um sich Zugang zu ihren eigenen Betten zu verschaffen.
    Trotz des effizienten Erinnerungsvermögens, das dieses phänomenale Arbeitstempo verhieß, war Gary Liss fast ebenso unergiebig wie Lynne Twitchett, was die Einzelheiten von Margaret Priddys Tod anging. Er hatte Frühdienst gehabt, bevor sie umgebracht worden war  – von sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags  –, und war an jenem Abend im Kino gewesen.
    »Allein?«, wollte Marvel wissen.
    »Nein«, antwortete Liss, »mit meiner Freundin.«
    »Und was haben Sie gesehen?«
    »So einen alten französischen Schinken in diesem Filmkunstschuppen.«
    »Sie stehen nicht besonders auf Filme, wie?«, fragte Reynolds.
    »Nicht auf diesen ganzen ausländischen Scheiß.«
    »Erinnern Sie sich noch an den Titel?«, bohrte Marvel beharrlich nach  – das war ein Fakt, den man überprüfen konnte.
    »Die Ferien des Mr. Irgendwas, glaube ich.«
    »Mr. Bean«, schlug Marvel vor.
    »Nö, irgendwas Französisches.«
    »Die Ferien des Monsieur Hulot?«
    Auf Reynolds konnte man sich verlassen.

    »Ja«, knurrte Liss. »Totaler Müll.«
    »Finde ich auch«, pflichtete Marvel ihm bei, obwohl er den Film nicht gesehen hatte. Nur um Reynolds zu ärgern. »Da ist mir Will Smith doch allemal lieber.«
    »Genau«, bestätigte Liss, schlug das Laken über die Deckenkante und stopfte es erbarmungslos fest. »I, Robot.«
    »Und wie sieht’s mit Dune aus ?«
    »Klar. Sind Sie Dune-Fan?«
    »Nein. Sie haben ein Buch bei Margaret Priddy liegen gelassen.«
    Einen Moment lang machte Liss ein verständnisloses Gesicht, dann lächelte er. » Da ist das Ding also!«
    »Was hat Sie denn in diesen Beruf verschlagen?«, wollte Marvel von Liss wissen, als sie ins nächste Zimmer gingen. Allmählich begann der Mann ihn zu interessieren.
    Liss zuckte die Achseln. »Ich hab meinen Vater gepflegt, als er im Sterben lag. Hab deswegen meinen Job verloren, und als ich angefangen hab, mich nach was Neuem umzuschauen, da war das einfach was, wovon ich wusste, dass ich’s gut kann.«
    »Was haben Sie

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