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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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bitten?«
    Priddy starrte die beiden Männer mit unverhohlenem Abscheu an. Reynolds schaute weg und holte die Probestäbchen hervor. Wortlos holte er sie aus der sterilen Plastikverpackung. Wortlos öffnete Priddy den Mund und ließ es zu, dass Reynolds die Innenseite seiner Wange abschabte.
    »Ich muss wieder an die Arbeit. Und Sie auch, denn je mehr Zeit Sie mit mir verschwenden, desto länger dauert es, bis Sie den Mann schnappen, der meine Mutter umgebracht hat. Und das macht mich echt stinksauer.«
    In dem Schweigen, das auf seinen türenknallenden Abgang folgte, klappte Reynolds sein Notizbuch zu, drehte die Handflächen himmelwärts und seufzte. »Kann man ihm wohl nicht mal übel nehmen.«
    »Ich nehme dem verdammt noch mal übel, was ich will«, schnappte Marvel.
    Als ob Reynolds das nicht wüsste.
    Auf dem Weg hinaus war das Gefängnispersonal merklich unfreundlicher als vorhin beim Hereinkommen.

18 Tage
    Annette Rogers war noch am Tatort befragt worden und hatte bereits die Vollzeitpflege eines alten Mannes in Minehead übernommen. Gary Liss und Lynne Twitchett dagegen arbeiteten beide Teilzeit in Shipcott in der Sunset Lodge. Das Altenheim war ein großes Steingebäude, das ein Stück von der Straße zurückversetzt auf einem Grundstück stand, welches praktischerweise an den Friedhof hinter der Kirche grenzte. Als sie ausstiegen, sann Marvel über das Grauen nach, nur einen geriatrischen Steinwurf von der letzten Ruhestätte entfernt alt und gebrechlich zu werden.
    Der Besitzer des Altenheims, Rupert Cooke, war ein rundlicher Mann mit fröhlichem Gesicht und der Angewohnheit, sich beim Zuhören ein wenig vorzubeugen und aufmerksam den Kopf zu drehen, obwohl Marvel nicht im Rollstuhl saß. Er bot Marvel und Reynolds sein Büro an, wegen der Privatsphäre, und Reynolds dankte ihm höflich.
    »Ich rufe Lynne und Gary schnell«, erbot er sich.
    »Lassen Sie nur«, erwiderte Marvel. »Wir finden sie schon. Dabei können wir uns gleichzeitig ein bisschen umsehen.«
    »Wenn Sie nichts dagegen haben«, fügte Reynolds eilig hinzu.
    »Natürlich nicht«, sagte Cooke. »Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
    »Na, hoffentlich erst mal nicht«, bemerkte Marvel trocken. Anscheinend zu trocken, denn niemand lachte.
    Er und Reynolds wanderten durch die großen, luftigen Räume, wo ein paar Heimbewohner saßen und Puzzles legten oder strickten. Ein alter Mann mit einer Sauerstoffmaske
und so großen Ohren, dass er wie ein Spaniel aussah, blickte starr auf einen riesigen Fernseher, der so leise gestellt war, dass man so gut wie nichts hörte. Allem Anschein nach war ein funktionsfähiges Sinnesorgan ab einem gewissen Alter alles, was man als Bewohner dieses Hauses erwarten durfte.
    Reynolds spähte in ein großes Aquarium. »Die haben da einen japanischen Kampffisch drin. Wunderschön.«
    Marvel beachtete ihn nicht. Ein lachhaftes Hobby, Fische zu halten. Sich zum Sklaven von Guppys zu machen.
    Eine Frau mittleren Alters in blauer Pflegerinnenkluft kam auf sie zu, und Marvel blieb stehen und zog die Brauen hoch. »Lynne Twitchett?«
    »Im Gartenzimmer, glaube ich«, lächelte die Frau und deutete in die Richtung, in die sie ohnehin unterwegs waren.
    Der größte Teil der Heimbewohner hielt sich im Gartenzimmer auf, und Marvel verstand augenblicklich, wieso, als sie eintraten. Es war heiß hier drin. Heiß wie in der Sahara  – selbst mitten im Winter. Mit seinen hohen Fenstern und dem Glasdach war das Gartenzimmer nicht mehr und nicht weniger als ein Treibhaus für Greise. Und das schien auch zu funktionieren. Mindestens zwei Dutzend alte Frauen mit identischen Frisuren saßen entlang der Wände in Ohrensesseln und sonnten sich wie Eidechsen. Sie sogen die Wärme auf, als hätten sie die Fähigkeit eingebüßt, selbst welche zu erzeugen. Ein paar von ihnen trugen zur Sicherheit handgestrickte Wolljacken und hatten Decken über den Knien. Eine große Dose mit Billigkeksen wurde herumgereicht und bei jedem Halt begutachtet, als sei sie der Heilige Gral. Vor der Dose war erwartungsvolles Gemurmel zu vernehmen, und weiße Köpfe reckten sich allenthalben. Hinter ihr herrschten Schweigen und Krümel.
    Lynne Twitchett saß an dem Klavier an der gegenüberliegenden Wand auf einem Klavierhocker und spielte eine holprige Version von »Jingle Bells«. Zumindest nahm Marvel an, dass sie auf einem Klavierhocker saß. Von hinten sah es aus,
als wären Lynnes gigantischem blauem Arsch einfach vier dünne Holzbeine gewachsen, so

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