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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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sehen.
    Sogar der Schnee war gegen ihn.
    Die Fahndung war durch den Schnee vorübergehend zum Erliegen gekommen, durch den man außerhalb des Dorfes jetzt nur noch mit Allradantrieb vorwärtskam.

    Die Fußabdrücke vor dem Gartenzimmer waren sorgfältig vermessen und fotografiert worden, aber Marvel hatte schon überzeugendere Yetispuren gesehen.
    Und im Schnee eine Mordwaffe finden zu wollen war wie … nun ja, sie könnten es ebenso gut mit verbundenen Augen versuchen. Grey hatte etwas in dieser Art vorgeschlagen, nachdem sie den Friedhof ein weiteres Mal im Blindenschrift-Verfahren abgesucht hatten, und Marvel hatte ihn angewiesen, noch einmal zu suchen.
    Er ging ein paar Schritte zur Tür von »Ginster«, Violet Eaves’ Zimmer. Dabei dachte er daran, wie Gary Liss dasselbe getan hatte. Lässig wedelte er mit der Hand durch den Türrahmen und vernahm das schwache Piepsen im Erdgeschoss. Lynne Twitchett und Jen Hardy hatten es mehrmals piepsen hören. Sie waren sich nicht einig, wie oft genau. War dieses dämliche elektronische Geräusch für Gary Liss der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte? War Violet Eaves seiner perversen Ansicht nach einmal zu oft im Schlaf herumgewandelt? War ihm schließlich die Geduld gerissen und er hatte zugeschlagen und war dann in Panik geraten, was zu dem Massaker geführt hatte?
    »Scheiße«, knurrte Marvel. Das passte nicht zu dem umsichtigen Mord an Margaret Priddy und der scheinbaren Beliebigkeit, mit der Yvonne Marsh als Opfer ausgewählt worden war.
    Wenn Gary Liss nicht der Täter war, dann könnte das erste Piepsen durchaus von dem Mörder ausgelöst worden sein, der Violets Zimmer betrat, und nicht von der alten Dame, die es verließ. Obwohl, verlassen hatte sie ihr Zimmer in dieser Nacht ja irgendwie schon.
    Von dieser Tür des herrschaftlichen Anwesens aus konnte Marvel den Friedhof nebenan sehen, wo die Suche nach der Tatwaffe den Bilderbuchschnee matschig und rutschig gemacht hatte. Sie waren da draußen nur pro forma zugange. Liss war der Schlüssel. Sie mussten ihn finden, bevor er abermals
zuschlug  – und Marvel hatte wenig Zweifel, dass er das tun würde.
    Er hörte die Türklingel, und gleich darauf kam Singh, um ihm zu sagen, dass Paul Angell unten im Gartenzimmer sei und ihn sprechen wolle.
    Als er die Treppe hinunterging, fing jemand an, Klavier zu spielen. Nicht Lynne Twitchett  – jemand, der spielen konnte. Marvel kannte die Melodie. Irgendwas von Cole Porter. »Cheek to Cheek«, dachte er. Es machte ihn schwermütig, dieses Lied von Tanzen und Liebe an diesem Ort zu hören, wo dergleichen längst dahin war.
    Im Gartenzimmer herrschte die übliche Schmelztemperatur, und Marvel rümpfte beim Eintreten die Nase. Hier roch es ganz schwach nach Fauligem … er wusste nicht recht, nach was. Zweifellos hätte Reynolds den Geruch als allgemeinfaulig bezeichnet. Er nahm sich fest vor zu sterben, bevor er in einem Laden wie diesem enden und so riechen konnte.
    Paul Angell hörte auf zu spielen und blickte zu ihm auf. Einige der alten Ladys klatschten, und eine sagte: »Wunderschön«, während eine andere fragte: »Kennst du das noch, Trinny?«
    Paul stand auf und machte Anstalten, sich nach Gary zu erkundigen. Er hatte sich der Polizei gegenüber hilfsbereit, aber auch misstrauisch gezeigt, und Marvel war nicht hundertprozentig sicher, dass der Mann nicht doch wusste, wo sich sein Lover versteckte, ganz egal, was Jonas Holly sagte. Er hatte den Eindruck, dass Paul Angell glaubte, die Polizei sei von Anfang an irgendwie gegen Liss gewesen, weil er schwul war, nicht weil er nach einem Dreifachmord getürmt war. Idiot. Bisher war Marvel höflich zu ihm gewesen, doch er hoffte nur, dass Angell dank seiner Homosexualität auch sensibel genug war, um zu merken, dass der Brunnen seiner guten Manieren nicht gerade tief war.
    Jetzt merkte Marvel, dass er, während Paul Angell wissen wollte, warum er nicht über die Suche nach Gary auf dem
Laufenden gehalten worden sei, plötzlich wie gebannt auf die Hand der alten Dame starrte, die Trinny gefragt hatte, ob sie »Cheek to Cheek« noch kenne. Die Hand hatte Beifall geklatscht, und Marvel hatte die Innenfläche gesehen. Nur ganz kurz. Er wusste nicht einmal genau, was ihm ins Auge gestochen war. Jetzt hörte er mit halbem Ohr zu und antwortete Angell mit halbem Gehirn, während er mit beiden Augen zusah, wie die alte, runzlige Hand die Armlehne des Sessels berührte und sich dann nach der

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