Der Beschütze
Knien neben ihr, sie steif und starr in seinen Armen, die Hände über dem Gesicht, um den Schmerz für sich zu behalten – ihre Weigerung, ihn richtig mit ihm zu teilen, ein Zeichen dafür, dass es seine Schuld war, zumindest in irgendeiner Hinsicht. Er fühlte, wie sich diese Bürde wie kaltes Blei in sein Herz senkte.
Langsam beruhigte sie sich und machte sich los. Er reichte ihr die Küchenrolle, sie putzte sich die Nase.
»Alles okay, Lu?«, fragte er leise.
»Frank hat das Gartentor offen gelassen«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. »Es klappert schon den ganzen Tag.«
Jonas stieg wieder in seine Stiefel und ging den dunklen Gartenweg hinunter. Am Nachmittag hatte es wieder geschneit, und er musste abermals Schnee schippen. Er dachte daran, wie frustrierend es für Lucy gewesen sein musste, nicht in der Lage zu sein, die zehn Meter bis zu ihrem eigenen Gartentor zu gehen, aus Angst hinzufallen, während das Tor die ganze Zeit gegen den Pfosten schlug. Der Schnappverschluss musste wirklich mal geölt werden, damit er leichter einrastete. Wenn er es zugemacht hatte, würde er sich die Schaufel holen und den Weg freiräumen, für den Fall, dass er morgen früh keine Zeit dafür hatte. Jetzt, wo er nicht mehr
vor Margaret Priddys Tür stehen musste, rechnete er mit Hektik anstelle von Langeweile.
Das Tor ölen, die Wäsche aus der Waschmaschine holen, bügeln, den Weg freischippen, neues Futter ins Vogelhäuschen streuen, damit das Rotkehlchen weiter zum Haus kam, um Lucy Gesellschaft zu leisten. Er musste sich die Kleinigkeiten merken, die ihr Leben in Gang hielten, doch Jonas wusste, dass er mindestens eine davon vergessen haben würde, wenn er schließlich wieder ins Haus ging. Er sollte sich eine Liste machen.
Zu Hause und der Dienst. Beides musste er ständig instandhalten wie ein altes Motorrad. Andernfalls sickerte Öl durch die Verkleidung und hinterließ hässliche schwarze Flecken auf dem Boden ihres Lebens.
Er hatte gedacht, er würde weiter nachts auf Streife gehen. Nur eine Stunde oder so jede Nacht, um den Leuten ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Ein trügerisches Gefühl, natürlich – die Ereignisse hatten das nur allzu deutlich bewiesen –, doch selbst ein trügerisches Gefühl von Sicherheit war besser als nichts, wenn Angst in allen Köpfen an erster Stelle stand. Ja, die Nachtstreifen waren gut für das Dorf.
Jonas schloss das Gartentor
Dabei berührten seine Finger Papier.
Im Sternenlicht konnte er erkennen, dass es ein Zettel war, der von außen an den Torpfosten gepinnt worden war.
Während dieses unterschwellige Gefühl zum zweiten Mal an diesem Tag wie Schleim in seinem Magen waberte, streckte Jonas die Hand aus und zupfte den Zettel von der glänzenden, goldenen Heftzwecke ab.
5 Tage
Elizabeth Rice sah zu, wie der Kriminaltechniker mit Puder und Gelatinestreifen an ihrem Fenster herumhantierte und dabei sein Tun die ganze Zeit halblaut kommentierte wie ein pingeliger Fernsehkoch.
Sie hatte ihn den Marshs lediglich als »Tim« vorgestellt, war mit ihm nach oben in ihr Zimmer gegangen und hatte die Tür zugemacht. Insgeheim fragte sie sich, ob die beiden wohl dachten, sie und Tim hätten Sex. Das war nicht zu ändern. Als sie ihn letzte Nacht angerufen hatte, hatte Marvel gewollt, dass Alan und Danny nicht merken sollten, dass sie unter Verdacht standen. Er hatte gefragt, ob es okay für sie sei, im Haus zu bleiben, und sie hatte Ja gesagt, weil sie schwach gewirkt hätte, wenn sie Nein gesagt hätte. Eigentlich wurde ihr bei dem Gedanken, dort zu bleiben, innerlich ganz flau, so wie sie sich immer bei Schulaufführungen gefühlt hatte, ehe sie auf die Bühne gegangen war. Aber jetzt hier zu sein, während Tim seine Arbeit machte, war in Ordnung. Sie hoffte, dass sie immer noch genauso empfinden würde, wenn er fort war.
Tim hatte einen Abdruck gefunden, der nach draußen zeigte, unter dem sichtbaren Fußabdruck, den sie als Erstes entdeckt hatte. Den hatte er mit einer Polaroidkamera fotografiert, damit sie ihn mit den Schuhen der Marshs vergleichen konnte. Das würde sie heimlich tun müssen.
Heimlichkeiten in Verbindung mit Mordermittlungen hätten eigentlich aufregend sein müssen, doch bei dem Gedanken, sich in Alans und Dannys Zimmer zu schleichen und ihre Schuhe durchzusehen, schämte sie sich ein wenig. Sie waren in Trauer, und sie waren durchaus nett zu ihr. Danny war auf seine Herrenloser-Hund-Art eigentlich ganz liebenswert. Sie wünschte,
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