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Der Beschütze

Der Beschütze

Titel: Der Beschütze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Belinda Bauer
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wenn Der Große Fisch anbiss.
    Als es dämmrig wurde und sie mit leeren Händen nach Hause gingen, hatten sie nur ungefähr zwanzig der etwa hundert Maden verbraucht; die meisten hatten sich einfach vom Haken gezappelt und waren getürmt oder waren ausgemustert worden, weil sie im Wasser ganz schlaff und aufgedunsen geworden und  – da waren die Jungen sich einig  – für Fische nicht besonders reizvoll waren.
    Wahrscheinlich weil es seine Angel war, hatte Jonas die Maden mit nach Hause genommen, als ihre Wege sich getrennt hatten, und hatte sie für den nächsten Tag in den Kühlschrank gestellt.
    Sie waren nie wieder angeln gegangen.

    Andere Dinge waren geschehen.
    Der kleine weiße Napf war zuerst hinter der Marmelade versteckt gewesen und dann von den Spaghetti bolognese von gestern im Kühlschrank ganz nach hinten gedrängt worden.
    Und erst Wochen später, als seine Mutter darüber klagte, dass der Kühlschrank  – der erst vier Jahre alt war  – so komisch surrte, war es Jonas wieder eingefallen …
    Durch den halb durchsichtigen Deckel hindurch hatte Jonas gesehen, dass etwas Amorphes, Schwarzes und Auseinanderquellendes den Platz der bleichen Maden eingenommen hatte, das den Napf jetzt so vollkommen ausfüllte, dass er dunkle Flecken unter dem Plastikdeckel erkennen konnte, wo sich irgendwelche Wesen dagegenpressten. Der ganze Napf vibrierte mit einem tiefen, drohenden Summen in seiner nervösen Hand  – und Jonas begriff zutiefst erschrocken, dass die kleinen Maden sich langsam in sehr viel größere Fliegen verwandelt hatten, die jetzt in dem Napf so eng zusammengequetscht waren, dass es schien, als seien sie zu einer einzigen, wütenden Masse geworden.
    Wütend auf ihn.
    Er hatte sie freilassen wollen. Er war ein gutherziger Junge und liebte Tiere. Und Fliegen waren auch Tiere  – in gewisser Weise. Bei dem Gedanken an die Fliegen in dem Napf  – so eng zusammengedrückt, dass sich ihre feuchten Flügel nicht entfalten konnten, während ihre Nachbarn sie anfraßen und sie vollkotzten und sie dann weiter anfraßen  – wurde ihm schlecht.
    Doch sie waren wütend auf ihn. Er konnte es in dem vibrierenden Zorn fühlen, der seinen Arm hinaufkroch, als er den Napf in der Hand hielt.
    Er hatte ihn weggeworfen, ohne den Deckel abzunehmen. Und bis die Müllmänner kamen, drei Tage später, konnte Jonas das zornige Surren der Fliegen hören, die ihr kurzes, albtraumhaftes Gefangenenleben fristeten.

    Jonas hörte auf, daran zu denken. Er musste aufhören, bevor ihm davon übel wurde.
    Er stand auf der Schwelle des Gartenzimmers in der Sunset Lodge, wischte sich den Schweiß von der Stirn und zwang sich mit Gewalt, sich nicht mehr zu erinnern …
    »Hier drin stinkt’s«, stellte er von der Tür her fest.
    Marvel und Reynolds saßen schweigend in den beiden Sesseln, die am dichtesten am Klavier standen, und beide drehten sich zu ihm um, als er näher kam. Marvel mit seinen Hängebacken und Reynolds mit seinem Flickenteppichhaar: Jonas fand, dass sie beide aussahen, als wären sie hier zu Hause.
    »Ja«, meinte Reynolds. »Das ist der nahende Tod.«
    Eine alte Frau, die sich so tief über ihr Gehgestell bückte, dass es aussah, als suche sie nach einer Kontaktlinse, drehte den Kopf wie eine Schildkröte und warf Reynolds einen vernichtenden Blick zu. »Wissen Sie, wir sind nicht alle taub!«
    Reynolds wurde rot und nuschelte eine Entschuldigung, und sie setzte ihren Weg zum Speisesaal fort und folgte dabei der Landkarte auf dem Teppich.
    »Trottel«, sagte Marvel zu Reynolds.
    »Wir haben eine Tatwaffe gefunden«, verkündete Reynolds. Als er Jonas’ überraschte Miene sah, fügte er hinzu: »Ein Gehstock. Er hat ihn aus einem Zimmer mitgenommen, sie alle umgebracht und ihn dann wieder hingestellt.«
    »Meine Fresse«, stieß Jonas hervor. »Fingerabdrücke?«
    »Das Labor hat das Ding gerade in der Mache, aber ich bezweifle es. Trotzdem …« Reynolds zuckte die Achseln. »Irgendwas gefunden?«
    Marvel schnaubte sarkastisch. »Klar, Reynolds, er ziert sich nur.«
    »Was Gary angeht, hatte ich kein Glück«, antwortete Reynolds. »Aber ich muss Ihnen etwas sagen.«
    So. Jetzt hatte er es ausgesprochen und konnte keinen
Rückzieher mehr machen. Jonas holte tief Luft und erzählte ihnen von den Botschaften. Was den Inhalt anging, blieb er absichtlich vage. Er sagte, auf dem ersten Zettel habe irgendetwas davon gestanden, »dass die Polizei Margaret nicht beschützt hätte«, und die zweite

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