Der Beschützer
Frau lächelte noch immer, reichte das Glas einem Techniker und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Die Nachbarn müßten gleich hier sein.« Etwas hinter Janeway und den anderen weckte ihre Aufmerksamkeit. »Ah, da sind sie ja.«
Stimmen erklangen, und Dutzende von Personen kamen den Besatzungsmitgliedern der Voyager entgegen, reichten ihnen die Hand oder küßten sie auf die Wange. Auf Paris wirkte alles wie eins jener absurden Familientreffen, bei dem sich die Leute kaum kannten. Er fühlte sich plötzlich zwischen Kim und einer jungen Frau eingezwängt, die ein blauweißes Kattunkleid trug und pechschwarzes Haar hatte.
»Wir freuen uns sehr über Ihren Besuch«, sagte sie mit einem scheuen Lächeln. Der verschmitzte Glanz in ihren Augen wies darauf hin, daß sie alles andere als scheu und schüchtern war.
Kim errötete und gab keinen Ton von sich. Paris erwiderte das Lächeln und spürte gleichzeitig, wie seine Verwirrung wuchs.
»Jetzt können wir beginnen!« rief die ältere Frau und klatschte. »Alle sind zum Fest eingeladen!«
Ein Alter mit wirrem weißen Haar und krummem Rücken griff nach einem Banjo. »Vergnügen wir uns mit Musik!«
Mit dem einen Fuß klopfte er den Takt auf die Veranda und spielte eine flotte Melodie. Paris stand neben Janeway und Kim, beobachtete stumm, wie die Leute tanzten. Er spürte nicht den Wunsch, sich ihnen hinzuzugesellen. Offenbar sind wir nicht mehr in Kansas, dachte er mit jenem zynischen Humor, der ihn seit einem Jahr begleitete. Janeway ging bis zur Ecke der Veranda, kehrte dann in die Richtung zurück, aus der sie kam. Einige Sekunden später dachte sie daran, daß man sie vermutlich beobachtete, und sie wollte nicht nervös wirken. Deshalb setzte sie sich auf eine Treppenstufe und widerstand der Versuchung, die Fäuste zu ballen. Auf dem geradezu unmöglich perfekten Rasen hatten die ›Gastgeber‹ bunte Decken ausgebreitet. Mit Schüsseln und Tabletts schritten sie nun umher, boten den Besatzungsmitgliedern der Voyager Speisen an und behandelten sie so, als seien sie alte Freunde. Janeway hatte ihrer Crew die Anweisung erteilt, nichts zu essen oder zu trinken – obwohl Kim mehrmals darauf hinwies, daß keine Gefahr drohte, da es sich um holographische Projektionen handelte. Wie dem auch sei: Die Kommandantin wollte kein Risiko eingehen.
Paris kam im Laufschritt hinter der großen, rotgrünen Scheune hervor und wich den anderen Leuten geschickt aus.
Janeway beobachtete ihn und vergaß dabei fast, daß er kein gewöhnliches Besatzungsmitglied war. Vermutlich lag es daran, daß seine Lippen jetzt kein selbstgefälliges Lächeln mehr formten. Plötzlich verhielt er sich wie ein verantwortungsbewußter Erwachsener – so wie man es eigentlich von ihm erwarten durfte. Allein dieser Umstand bewirkte einen Wandel, den Janeway bis vor kurzer Zeit für unmöglich gehalten hätte.
Wissen Sie, worin Ihr Problem besteht, Mr. Paris? dachte sie, als er etwas langsamer ging, damit Kim zu ihm aufschließen konnte. Sie zweifeln an Ihrer Fähigkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Deshalb giften Sie jeden an, der von Ihnen verlangt, ohne Sicherheitsnetz zu arbeiten. Das galt für Starfleet, seinen Vater und auch Janeway.
Unmittelbar nach dem Zwischenfall hatte er sich auf der Brücke einwandfrei verhalten. Bei jener Gelegenheit waren die Erfordernisse der Situation klar genug gewesen. Paris reagierte richtig, indem er sich um Stadi kümmerte, ihren Tod meldete, die Fassung bewahrte und es vermied, im Wege zu sein.
Derzeit schien es ihn zu beruhigen, Janeways klaren Anweisungen nachzukommen. Vielleicht glaubte er daran, allen in ihn gesetzten Erwartungen gerecht zu werden. Und möglicherweise kam es ihm darauf an, das nicht nur der Kommandantin zu beweisen, sondern auch – und vor allem – sich selbst.
Janeway lächelte schief, als sie begriff: Der
Personalabteilung von Starfleet war ein großer Fehler unterlaufen, als sie dem Psycho-Profil von Thomas Paris den Hinweis ›rebellisch‹ hinzufügte. Er ist nicht etwa rebellisch, sondern unsicher. Man hat ihn zu früh zum Offizier befördert.
Wenn er zwei Jahre länger Unteroffizier geblieben wäre, hätte er heute wesentlich weniger Probleme.
Und vielleicht befänden wir uns dann nicht hier. Janeway schüttelte den Kopf, um den letzten Gedanken aus sich zu verbannen. Es hatte keinen Sinn, sich Was-wäre-wenn-Spekulationen hinzugeben. In gewisser Weise erging es ihr wie Paris: Sie mußte sich mit der
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