Der Beschützer
konnte mit einigen Minuten Schweigen zur richtigen Zeit bewerkstelligt werden. Im Lauf der Jahre hatte Kim beobachtet, wie wohlüberlegtes Schweigen folgendes fertigbrachte: Seine Mutter bekam dadurch einen Pekinesen; sein Vater verschaffte dem Sohn die Möglichkeit, an Sommerveranstaltungen des Jugendorchesters teilzunehmen; und es veranlaßte einige jugendliche Flegel, Autofahrern keine Schimpfwörter mehr zuzurufen. Kim beherrschte das Schweigen nicht so meisterlich wie seine Mutter, hoffte jedoch, seine entsprechenden Fähigkeiten zu verbessern. »Denk daranc « , hörte er nun in seiner Erinnerung die Stimme der Mutter. »Wenn du lange genug schweigst, finden die Leute von ganz allein die richtigen Worte, um sich selbst zu überzeugen.«
Kim lauschte der Stimme, die aus seinem Gedächtnis kam, und er fragte sich, ob er seine Mutter jemals wiedersehen würde. Rasch verdrängte er diesen Gedanken und wartete geduldig, während die Ocampa langsam hin und her ging.
»Eine Frau schaffte es, die Oberfläche zu erreichen«, sagte sie nach einer Weile. »Wir sahen sie nie wieder.«
Kim spürte, wie ihm Torres die Hand auf die Schulter legte.
»Wie gelangte sie nach oben?«
Die Krankenschwester sah ernst auf. »Jene alten Tunnel, durch die wir hierherkamen, existieren nach wie vor. Im Lauf der Jahre haben sich Lücken in der Sicherheitsbarriere gebildet, groß genug, um hindurchzuschlüpfen. Aber man muß sich trotzdem durch viele Meter Erde und Gestein graben.« Sie sah kurz zu Torres, schien auf irgend etwas in ihrem Gesicht zu reagieren.
»Können Sie uns Werkzeuge zum Graben besorgen?« fragte die Maquisard.
Die Krankenschwester schüttelte den Kopf. »Es würde Tage oder gar Wochen dauernc Und Sie dürfen sich nicht zu sehr anstrengen.«
»Bittec « Kim drückte ihre Hand, und sein Blick gab ihr zu verstehen, wie sehr Torres und er seit dem ersten Erwachen an diesem fremden Ort litten. »Es ist unsere einzige Chance.«
Die Ocampa senkte den Kopf, und einmal mehr vertraute Kim auf die Wirkung des Schweigens. Nach einigen Sekunden seufzte die Frau, und da wußte der Fähnrich, daß er gewonnen hatte. Sie sah auf, und er dankte ihr mit einem stummen Nicken. Auch hier waren keine Worte erforderlich.
Janeway erlebte das für den Notfall bestimmte holographische Medo-Programm jetzt zum erstenmal. Der Holo-Arzt eilte in der noch nicht vollständig reparierten Krankenstation hin und her, widmete sich der Patientin mit einer Entschlossenheit, die der eines Doktors aus Fleisch und Blut in nichts nachstand.
Angesichts der hitzigen Diskussion, an der sechs Personen teilnahmen, beneidete Janeway den ›Mann‹ um seine Konzentration. Wie dem auch sei: Er hätte gelegentlich lächeln beziehungsweise das eine oder andere freundliche Wort an die Ocampa richten sollen. Statt dessen beschränkte er sich ganz und gar auf die mechanischen Aspekte der Interaktion zwischen Arzt und Patienten. Wenn wir wieder zu Hause sind, sorge ich dafür, daß die psychologischen Faktoren beim nächsten Software-Upgrade größere Berücksichtigung finden.
Allerdingsc Vielleicht spielten solche Dinge gar keine Rolle; immerhin diente das Programm nur dazu, den Bordarzt für ein oder zwei Stunden zu ersetzen, bis neues medizinisches Personal eintraf. Unter solchen Umständen lohnte es vielleicht nicht, der Simulation eine völlig neue Struktur zu geben.
Schade, dachte Janeway, als sie beobachtete, wie der Holo-Arzt den Arm der Ocampa abrupt in eine neue Position rückte.
Die junge Frau hieß Kes, und es blieb ein Geheimnis, warum sie sich zu Neelix hingezogen fühlte. Dessen Empfindungen der Ocampa gegenüber waren nicht annähernd so rätselhaft.
Die sehr attraktive, zart gebaute Kes hatte große blaue Augen und erweckte den Eindruck, in eine Aura engelhafter
Schönheit gehüllt zu sein. Unschuld erstrahlte in ihrem Lächeln. Seit dem Retransfer an Bord hielt Neelix ihre Hand, und Paris schien überhaupt nicht mehr zu blinzeln. Chakotays Blick wanderte immer wieder zur Ocampa, was ihn mit
Verlegenheit zu erfüllen schien – gelegentlich verfärbten sich seine Wangen. Nur Tuvok und der Holo-Doktor zeigten keine Reaktion auf Kes. Beim Hologramm war das nicht weiter verwunderlich, doch was den Vulkanier betrafc Janeway vermutete, daß selbst Tuvok tief in seinem Innern den besonderen Reiz dieser jungen Frau spürte. Es gelang ihm nur besser als den anderen Männern, sich zu beherrschen.
Derzeit galt die Aufmerksamkeit des
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