Der Besen im System
Blumker?« In der Tür stand Neil Obstat jr., klopfte vorsichtig an den Türrahmen aus Holzimitat und starrte auf Lenore, die sich mit einer Hand voll speichelschwerer Kleenex über eine schöne grauhaarige Gestalt in Bademantel und Wollsocken beugte. »Hallo«, sagte er. »Hi Lenore.«
»Hi.«
»Wie geht's?«
»Ballaststoffe«, sagte Concarnadine und wackelte mit den Zehen.
»Doch, du kannst schlucken, du kannst, Gramma C. Du musst es nur versuchen. Du kannst deine Spucke runterschlucken.«
»Wie geht's deiner Mutter?«, fragte Obstat.
»Vielleicht warten wir beide besser draußen, bis Sie zu Ende vorgelesen haben«, sagte Mr. Bloemker und strich sich über den Bart.
Lenore legte die nassen Kleenex in Mr. Bloemkers ausgestreckte Hand und beugte sich wieder über das Buch. Sie hörte, wie die Papiertaschentücher mit einem satten Geräusch in den metallenen Papierkorb fielen, während Mr. Bloemker zur Tür ging, wo Obstat stand.
»Mr. Blumker, ich bin Neil Obstat jr. von Stonecipheco Baby Food Products«, hörte ihn Lenore sagen und wusste, dass er sie dabei von hinten ansah.
»Eigentlich Bloemker ...«, hörte Lenore. »Kommen Sie, gehen wir mal ... Flur.« Geräusche.
»›Schließlich hielt er es nicht mehr aus und ging zum großen Fluss, um zu sehen, was aus seinen Fischen geworden war.‹«
Lenore konnte sich erinnern, dass Neil Obstat im Umkleideraum der Highschool von Ed Creamer, Jesus Geralamo und den anderen Scheißtypen einmal eine fürchterliche Abreibung bekommen hatte, an deren Ende sie ihn in Unterwäsche an einen Kleiderhaken im Korridor gehängt hatten – vor den Augen von Lenore, Karen Daughenbaugh und Karen Baum und den anderen Mädchen aus dem Sportunterricht in der siebten Stunde, die gerade auf dem Weg zum Bus gewesen waren. Der Hausmeister musste kommen, um ihn abzuhängen, und Karen Baum sagte, dass sie Neil Obstats Hintern gesehen hätte.
»›Er kam an die Stelle, wo er sie törichterweise liegen gelassen hatte, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der letzte gestreifte Flussbarsch im langen Schnabel von Mr. Krabbenreiher verschwand.‹«
»Ballaststoffe.« Mit einem Finger pulte Concarnadine in ihrem Mund. Lenore schaute wieder in ihr Buch.
»Concarnadine, sag doch mal ›Membran‹«, sagte Lenore und versuchte, ihre Stimme möglichst tief klingen zu lassen. »Ich sage dir: ›Membran‹.«
»Ballaststoffe.«
Einige Jahre zuvor hatte LaVache Beadsman einmal gesagt, dass Lenore Concarnadine nur deswegen hasste, weil Concarnadine aussah wie sie. Zwar fielen Concarnadines Haare lang und voll bis auf die Schultern ihres rosa Bademantels, während Lenores Haare sehr viel kürzer waren und sich wie die Spitzen eines Tastzirkels unter ihrem Kinn trafen, doch ihre Gesichter waren dieselben, mehr oder weniger, wenn man von den Krähenfüßen in den Augenwinkeln und zwei tiefen Lachfalten absah.
»Lenore hasst Concarnadine, weil sie Concarnadine so ähnlich ist«, hatte LaVache im Ostflügel zu John gesagt, während Lenore lesend am Fester saß und alles mithörte. »Lenore identifiziert sich mit ihr auf eine tiefe, beängstigende Weise.«
»Dann ist es wohl gestattet, dieselbe Vermutung in Bezug auf dein Verhältnis zu Dad in Anwendung zu bringen«, hatte John lachend geantwortet. »Da wir doch alle wissen, dass du im Kern Dads verkleinertes Spiegelbild bist.«
Da hatte LaVache John gepackt und ihm drohend das Bein unter die Nase gehalten. Und Lenore hatte zugesehen, wie die Malig angelaufen kam, Miss Malig mit ihren Stromfingern und Jodaugen, um die Ordnung wiederherzustellen.
»Ach, Lenore.«
Lenore schaute von ihrem Buch auf. »Was?«
»Ballaststoffe, Ballaststoffe.« Der Bademantel war über die Knie gerutscht, Knie mit derselben grauen Haut, wie man sie normalerweise an den Ellenbogen fand.
Auf dem Flur hörte sie Obstats Stimme. Sie hörte auch das Geräusch von Bloemker, der wieder irgendetwas mit seinem Gesicht anstellte. Gleich hinter dem Türrahmen sah sie den Schoß von Mr. Bloemkers braunem Sakko. Der Boden im Türbereich wies schwärzliche Laufspuren auf. Lenore wünschte, Concarnadines Zimmer wäre sauberer gewesen.
»›Und so kam es, dass Billy Nerz ohne Abendbrot ins Bett ging. Aber er hatte drei Dinge gelernt, die er nie vergaß. Dass Klugheit oft besser ist als Geschicklichkeit. Dass es nicht nur gemein ist, über andere zu spotten, sondern auch ziemlich dumm. Und dass es das Allerdümmste ist, die Beherrschung zu verlieren.‹«
Lenore sah, wie
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