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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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der Urgroßmutter ankamen, wo Mr. Bloemker einen Schlüssel in das Schloss der leichten, beschichteten Tür aus Holzimitat steckte. Das Zimmer war kreisrund, die großen Fenster gingen hinaus auf den Parkplatz Ost, an dessen äußerstem Rand, unter den Lichttupfern der windbewegten Bäume, auch Lenores kleines rotes Auto zu sehen war. Im Zimmer war es unsagbar heiß.
    »Sagen Sie, haben Sie die Temperatur nicht gesenkt?«, fragte Lenore.
    Mr. Bloemker, der im Türrahmen stehen geblieben war: »Die Klimaanlage wurde von den Eigentümern auf Zuverlässigkeit hin konzipiert. Zu dieser Zuverlässigkeit gehört, dass sie sich nicht verstellen lässt. Außerdem erwarten wir Lenore ja bald zurück.«
    Die Luft im Zimmer war schwer von Wasserdampf, man spürte jeden Atemzug auf den Lippen, und Kondenswasser lief die Fenster hinunter. Die Sonne hinter den Bäumen hinterließ ein dunkelgrünes Flackern auf den weißen Wänden.
    Lenore Beadsman, zweiundneunzig Jahre alt, litt unter keinen nennenswerten Beschwerden außer vorübergehenden Funktionsstörungen der linken Körperhälfte und dem Totalausfall ihrer Wärmeregulation. Ihre Körpertemperatur hing inzwischen ausschließlich vom Umgebungsklima ab. Von ihr als wechselwarm zu sprechen, war daher nicht verkehrt. Aufgefallen war dies erstmals im Jahre 1986 nach dem Tod ihres Mannes, Stonecipher Beadsman, als ihre Haut sich bläulich verfärbte. Die Temperatur in ihrem Zimmer betrug exakt 37 Grad. Dies hielt nicht nur Lenore am Leben und bei Laune, sondern auch Besucher fern. Pflegekräfte, Hausbewohner sowie Lenores Schwester Clarice (bei ihren sporadischen Besuchen) beschränkten ihren Aufenthalt in diesem Zimmer auf das absolute Minimum.
    Die Einrichtung bestand aus einem gemachten Bett, einem Schreibtisch, einem Nachttisch, auf dem sich, wie auf den anderen glatten Flächen, Feuchtigkeit niedergeschlagen hatte, während sie aus dem darauf befindlichen Wasserglas beinahe verdunstet war, einer Kommode mit einigen Gläschen Stonecipheco-Babykost, ein paar potentiell bösartigen Strippen, die aus der Wand hingen, Überbleibsel des TV-Anschlusses, den Lenore nicht haben wollte, und einem Stuhl, einem Wandschrank, einem Salzstreuer mit steinhart verkrustetem Inhalt und (auf einem schwarzen TV-Tisch aus schwarzem Stahlblech) einem Tonpferdchen, das Lenore ihrer Urgroßmutter vor Urzeiten aus Spanien mitgebracht hatte. Die Wände waren nackt.
    »Okay«, sagte Lenore, als sie sich umgeschaut hatte. »Zumindest hat sie ihre Gehhilfe mitgenommen.« Sie öffnete die Tür zum Wandschrank. »Aber an Kleidung kann sie nicht viel mitgenommen haben, hier steht noch ihr Koffer … und Unterwäsche wohl auch nicht«, Letzteres nach einem Blick in die Schubladen der Kommode. Lenore nahm eines der Stonecipheco-Gläschen in die Hand, das Etikett zeigte ein lachendes rotes Baby. Ein etwas strenges Rindfleisch-Aroma wehte sie an. »Isst sie etwa dieses Zeug?«, fragte sie und sah zu Mr. Bloemker, der mit schweißnassem Gesicht noch immer in der Tür stand und sein Kinn massierte.
    »Meines Wissens nicht.«
    »Jede Wette, dass sie es nicht isst.« Lenore trat an den Schreibtisch. Drei Schubladen waren leicht und leer, eine war abgeschlossen.
    »Haben Sie die Schublade mal geöffnet?«
    »Wir konnten keinen Schlüssel finden.«
    »Ah.« Lenore ging zum TV-Tisch, nahm das Tonpferdchen, zog ihm den Kopf ab, und heraus fielen ein Schlüssel und ein winziges Foto von Lenore. Das Foto war alt und verblichen. Der Schlüssel schepperte auf den Blechtisch. Mit dem Ärmel seines Blazers wischte sich Mr. Bloemker den Schweiß von der Stirn.
    Lenore schloss die Schublade auf. Darin waren, gelb und knistrig, Großmutters Notizbücher, ihre Ausgabe der Ermittlungen und ein kleiner weißer Zettel, der sich als abgelöstes Stonecipheco-Etikett erwies. Pfirsich-Kompott. Auf der weißen Rückseite des Etiketts war etwas gekritzelt. Sonst befand sich nichts in der Schublade. Das hieß kein grünes Buch.
    »Komisch«, sagte Lenore und sah Mr. Bloemker an. »Sie hat weder ihre Notizbücher mitgenommen noch ihre Ermittlungen , und das war schließlich ihr Lieblingsbuch, denn es war signiert. Andererseits, ein Buch hat sie mitgenommen. In der Schublade war nämlich noch ein weiteres Buch, ein grünes, ziemlich schweres, vielleicht haben Sie es ja mal gesehen, mit grünem Ledereinband und Schloss.«
    Mr. Bloemker nickte. Ein Schweißtropfen hing an seiner Nase. »Das ist möglich. Ich habe es für ihr Tagebuch gehalten

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