Der Besen im System
oder ihre Erinnerungen an die Zeit in Cambridge, die, wie ich weiß, für sie von großer Bedeutung waren.«
Lenore schüttelte den Kopf. »Nein. Diese Sachen standen mehr oder weniger darin «, und zeigte auf die vergilbten Notizbücher in der offenen Schublade. »Ich weiß ja selbst nicht, was das für ein Buch war, aber sie hat es ständig mit sich herumgetragen, in einer großen Tasche vorn an ihrem Nachthemd, denn wenn sie ihre Gehhilfe benutzte, konnte sie das Buch nicht gleichzeitig tragen, und es war so schwer, dass es vorn richtig durchhing.« Die Erinnerung beunruhigte sie auf einmal. »Hat sie denn in den letzten Tagen ihr Zimmer oft verlassen?«
Feuchte Geräusche, als Mr. Bloemker sich den Bart raufte. »Wir wissen, dass sich Lenore jeden Nachmittag im Tagesraum von Bereich F aufgehalten hat. Aber sagen Sie, wann waren Sie zuletzt hier?«
»Ziemlich genau vor einer Woche.«
Mr. Bloemkers Brauen hoben sich. Die Schweißtropfen kamen kurz zum Stehen und suchten sich einen anderen Weg.
»Die Sache ist die: Mein Bruder musste aufs College zurück«, sagte Lenore. »Und wenn ich nicht gerade gearbeitet habe, war so viel zu tun und zu besorgen. Und außerdem musste ich noch dauernd zwischen ihm und meinem Vater vermitteln, ich konnte einfach nicht öfter kommen.«
»Dann fängt das College aber früh an. Wir haben noch nicht einmal September.«
»Na ja, Amherst. In Massachusetts. Das Semester beginnt tatsächlich erst in ein paar Wochen, aber er wollte vorher noch meine Mutter besuchen.«
»Ihre Mutter?«
»Ja, sie ist gewissermaßen eine Mutter außer Dienst. Sie lebt in Wisconsin.«
»Ach.«
»Hören Sie, mir wäre es schon lieb, wenn wir ihr Bescheid sagen könnten. Sie gehört schließlich mit zur Familie. Vor allem sollten wir allmählich die Polizei einschalten.«
Mr. Bloemkers Brille war bis auf die Nasenspitze gerutscht. Er schob sie hoch, sie rutschte sofort wieder hinunter. »Alles, was ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt tun kann, ist, Ihnen die Informationen und Anweisungen weiterzuleiten, die mir von Mr. Rummage hinterbracht wurden.« Er zupfte an seinen Ärmeln. »Demnach soll die Polizei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht verständigt werden. Die Eigentümer dieser Einrichtung betrachten diesen Vorfall nach wie vor und aus mir zugegebenermaßen rätselhaften Gründen als hausinterne Angelegenheit, die ohne Hinzuziehung externer Kräfte zu einem schnellen Abschluss gebracht werden kann. Falls dem tatsächlich so sein sollte, sind die Vorteile für die Einrichtung hinsichtlich des zu leistenden Aufwands und eines reibungslosen Betriebs natürlich offensichtlich. Sie werden deshalb gebeten, über die gegenwärtige Situation Stillschweigen zu bewahren, bis Sie mit Ihrem Herrn Vater gesprochen haben. Darüber hinaus werden Sie gebeten, sich umgehend mit Ihrem Herrn Vater in Verbindung zu setzen.«
»Normalerweise kann man sich mit Dad überhaupt nicht in Verbindung setzen.«
»Dennoch.«
Lenore schaute noch einmal auf die offene Schreibtischschublade. »Das ergibt doch alles keinen Sinn. Wie wollen Sie die Sache eigentlich den Angehörigen des Personals erklären? Meinen Sie nicht, die finden so viel Unaufhältigkeit etwas ungewöhnlich? Ich persönlich hätte großes Verständnis dafür, wenn wenigstens sie die Polizei rufen wollen. Ich jedenfalls würde das tun.«
Mr. Bloemkers Brille rutschte nun vollends von der Nase, und es gelang ihm gerade noch, sie aufzufangen. Mit den Fingern wischte er sich den Schweiß vom Nasenrücken. »Zwar erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch unklar, ob nicht auch die Familien des unaufhältigen Personals aufgrund normaler aushäusiger Aktivitäten nicht aufhältig sind oder auf ähnliche Weise unaufhältig geworden sind wie unsere Pflegekräfte selbst, gleichwohl lässt sich die ebenso tröstliche wie beunruhigende Tatsache nicht wegdiskutieren, dass...«
»Was reden Sie da?«, sagte Lenore, über die urgroßmütterliche Schublade gebeugt.
»Die Familien sind auch weg.«
»Mann!«
»Was machen Sie da?«, fragte Mr. Bloemker. Lenore betrachtete die Zeichnung auf der Rückseite des Stonecipheco-Etiketts, das auf den Notizbüchern in der Schublade lag. Darauf war eine Gestalt in einem Kittel dargestellt. Die Gestalt hielt ein Rasiermesser in der einen und eine Spraydose mit Rasiercreme in der anderen Hand. Lenore erkannte sogar das Wort »Noxzema« auf der Dose. Der Kopf der Gestalt bestand aus einem explosionsartigen Tintengekritzel.
»Ich
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