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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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schmalschultriges, vollbusiges Mädchen mit dünnen Armen, langen Beinen und überdurchschnittlich großen Füßen, die sich beim Gehen leicht nach außen stellen ... in ihren schwarzen Basketballschuhen. Sagte ich, die Aufmachung sei beunruhigend? Ich liebe diese Schuhe und gestehe gern, dass ich, als Lenore gerade unter der Dusche stand, in einem Anfall gänzlich unverantwortlicher moralischer Verkommenheit den Versuch unternommen habe, einen dieser Schuhe zu vögeln, einem 1989er All-Star-Hightop, was jedoch aus den bekannten Gründen nicht gelungen ist.
    Aber was an Lenore, etwa Lenores Haar? Hier sind Haare, die von Natur und aus sich heraus in allen Farben leuchten, blond, rot, rabenschwarz und falb, sich allerdings nach außen hin auf einen Kompromiss geeinigt haben, der irgendwo bei Mattbraun liegt und im Augenwinkel des Betrachters nur ab und zu verheißungsvoll aufblitzt. Ein dichter Pony, der sich über den Wangen nach innen dreht, wodurch sich linke und rechte Haarspitzen unter dem Kinn beinahe berühren wie die zerbrechlichen Kiefer eines Raubinsekts. Denn diese Haare sind bissig, auch mich haben sie schon gebissen.
    Und ihre Augen. Ich kann gar nicht sagen, welche Farbe l.enore Beadsmans Augen haben. Ich kann sie nicht anschauen; sie sind die Sonne für mich.
    Sie sind blau. Ihre Lippen sind voll und rot und immer leicht feucht. Sie bitten nicht, sie fordern und spitzen sich wie flüssige Seide in ihrer Forderung, geküsst zu werden. Ich gebe zu, ich küsse sie oft, ich bin ein Küsser, und ein Kuss von Lenore ist, wenn ich das kurz ausführen darf, weniger ein Kuss als eine Verlagerung und brutale Weiterbeförderung von Ich-Essenz auf die Lippen, sodass sich hier nicht einfach zwei Menschen begegnen und das Übliche mit ihren Lippen tun, sondern zwei Lippenpaare, die ineinander laichen und von Anbeginn der Nach-Scarsdale-Zeit auf eine Art miteinander verwachsen sind, dass sie ihren vollen ontologischen Status nur noch in der Wiedervereinigung erlangen, wobei der Körper zunehmend unwichtig wird und schließlich wie der erschöpfte Stängel einer verblühten Blume an den Lippen hängt und die Schuhe über den Boden schleifen wie eine abgestreifte Haut. Ein Kuss von Lenore ist ein Szenario, in dem ich über ihre feuchten Lippen schlittere, geschützt von aller Unbill durch den warmen Überhang ihrer Oberlippe, unter die ich mich verkriechen kann, wie sich ein Kind unter eine Decke verkriecht und von dort aus mit bösen Augen auf eine Welt hinausblickt, die nicht die Welt von Lenore ist und zu der ich deshalb ebenfalls nicht mehr gehören möchte.
    Dass ich in letzter Konsequenz aber doch zu dieser Außen- und Nicht-Lenore-Welt gehöre, ist für mich eine Quelle großen Schmerzes. Und dass andere tief, tief in denen wohnen, die sie lieben, dass sie vom zarten Becher, vom milden Teich in der Mitte des Objekts der Begierde trinken dürfen, während ich verurteilt bin, diese Tiefen lediglich zu erahnen, also nur kurz meine Nase ins Foyer des Hauses der Liebe stecken darf, wo ich mich schüttle und auf der Fußmatte ein kleines Malheur anrichte, das alles stinkt mich mächtig an. Doch dass Lenore diese kleinen Akte, die ja höchstens, um im Bild zu bleiben, kurze Wortwechsel im Vorzimmer der Vereinigung sind, dass sie diesen Austausch nicht nur ganz putzig findet, sondern offenbar geradezu erfüllend und bedeutsam und, ja, regelrecht wundervoll, lässt mich ähnlich empfinden, erweitert meine eigene Wahrnehmung dieses Vorgangs dergestalt, dass ich von da an nur in meinem besten Jackett und mit Blume im Knopfloch an dieses Vorzimmer klopfe, aufgeregt wie ein Schuljunge, und mich mit der Zeit sogar zum groben Neandertaler entwickle, der, angetan mit einem Leopardenfell und mit einer Keule bewaffnet, Einlass in die Höhle begehrt und jedem Prügel androht, der versuchen sollte, sich ihm in den Weg zu stellen.
    Seltsamerweise sind wir uns zum ersten Mal nicht im Bombardini Building begegnet, sondern in der Praxis des Psychotherapeuten, dem wir anscheinend gemeinsam in den Ohren lagen, ein Dr. Curtis Jay, der bestimmt ein guter Mensch ist, aber, wie ich mittlerweile glaube, ein eher schlechter Therapeut, wovon ich im Moment aber nicht sprechen will, weil ich immer noch ziemlich erbost bin über seine Deutung eines bestimmten Traums, der mich seit einiger Zeit quält, ein Traum über Königin Victoria, über Manipulation und über Mäuse – offenbar, jedenfalls für jeden klar denkenden Menschen, ein sexueller

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