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Der Besen im System

Titel: Der Besen im System Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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gesehen hatte.
    War das der, der immer so krank war?
    Ja.
    Hoffentlich nichts Ernstes.
    Doch, leider war es etwas Ernstes. Er war in Chicago mehr oder weniger an sein Zimmer gefesselt, konnte nur selten Besucher empfangen und litt unter Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme. Lenore wollte eigentlich nicht darüber sprechen, jedenfalls im Augenblick nicht.
    Aber wo hatte denn Lenore studiert, auch in Mount Holyoke?
    Nein, Holyoke hatte Lenore überhaupt nicht gefallen, sie war in Oberlin gewesen, einem kleinen gemischten College südlich von Cleveland. Ihr Schwager hatte auch in Oberlin studiert. Vor etwas mehr als zwei Jahren hatte sie dort ihren Abschluss gemacht. Und ich war also in Amherst gewesen?
    Ja, ich war in Amherst, Abschlussklasse ’69, hatte dann noch schnell an der Columbia meinen M. A. in Englisch gemacht und beim Verlag Hunt & Peck angefangen, Madison Avenue, New York.
    Das war aber ein riesiger Verlag.
    Ja. Und aus mir unerklärlichen Gründen stieg ich schnell in Schwindel erregende Karrierehöhen auf, erwirtschafte absolut obszöne Gewinne fur den Verlag und verdiente nach kurzer Zeit fast so viel, dass ich davon leben konnte. Dann heiratete ich Veronica Peck und zog nach Scarsdale, New York, nicht weit von der City, und meine Frau gebar mir einen Sohn. Er war inzwischen achtzehn.
    Achtzehn?
    Ja. Ich war immerhin schon vierundvierzig. Und nebenbei gesagt geschieden.
    Aber wie vierundvierzig sah ich eigentlich gar nicht aus.
    Danke, das war nett. Und dass ich so auf meinem Stuhl hin und her rutschte, lag daran, dass ich dringend ein geschäftliches Telefonat machen musste.
    Dann war ich wieder da. Der Anruf ging aber schnell. Wer war eigentlich dieser Frequent in Frequent & Vigorous, fragte sie weiter.
    Das war mir bis heute in gewisser Weise nicht klar. Soweit ich wusste, war Monroe Frequent ein unglaublich reicher Modedesigner und Erfinder. Derjenige, der den beigefarbenen Freizeitanzug erfunden hatte. Und auch das Ding, das piepst, wenn man den Wagen anlässt, ohne den Sicherheitsgurt angelegt zu haben. Verständlicherweise lebte er heute völlig zurückgezogen. Angesprochen hatte mich ein Bevollmächtigter mit einer Sportsonnenbrille. Äußerte Interesse am Verlagsgeschäft. Weit weg von New York und Umgebung. Etwas völlig Neues. Geld spielte keine Rolle. Ich als gleichberechtigter Partner. Mit einem Gehalt, das den branchenüblichen Rahmen weit hinter sich ließ. Wenn es sich also bei Frequent & Vigorous, wofür einiges spricht, um den Monroe Frequent handelte, dann war der Verlag eine ziemlich krude Steuervermeidungskonstruktion.
    Mein lieber Schwan.
    Ja. Der einzige echte Vorteil bestand für mich in der Möglichkeit, meine eigene Vierteljahresschrift herauszubringen. Etwas Anspruchsvolles, Literarisches. Der Vorschlag wurde auch begeistert angenommen. In Frequents Augen erhielt das Unternehmen als Nebeneffekt eine völlig selbstverständliche Daseinsberechtigung.
    Die Frequent Review?
    Genau. Sie hatte sich im vergangenen Jahr gar nicht schlecht verkauft.
    Es war ja auch eine gute Zeitschrift.
    Das war nett.
    Daneben gab es aber noch den Norslan-Etat.
    Ja. Wenn man primitivste Propaganda in korrupten Drittweltbürokratien für ein eindeutig wirkungsloses und darüber hinaus Krebs erregendes Pestizid als seriöse PR-Arbeit bezeichnen wollte, dann gab es tatsächlich so etwas wie einen Norslan-Etat. Aber warum um alles in der Welt arbeitete sie als Telefonistin?
    Na ja, sie brauchte Geld, um sich etwas zu essen zu kaufen, oder? Ihre Freundin Candy Mandible, die auch eine Zeit lang in Oberlin war, arbeitete gleichfalls als Telefonistin. Et cetera.
    Und warum wechselte sie nicht zu Stonecipheco? Dort könnte sie sehr viel mehr verdienen und sich deshalb auch sehr viel mehr zu essen kaufen.
    Es ging nicht ums Essen. Ihr kam es nur so vor, als hätte sie auch so schon kaum Kontrolle über ihr eigenes Leben. Ein Job bei Stonecipheco oder ein Zimmer zu Hause in Shaker Heights bei ihrem Vater und ihrer alten Gouvernante hätte das Gefühl von Machtlosigkeit und Persönlichkeitsverlust weiter verstärkt. Ich erinnere mich, wie ich in diesem Moment die Stimme von Dr. Jay aus ihr hörte. Ich sehe, wie ich mutiger werde und mein Äffchen mit dem Sektquirl auf die Pauke haut, was dazu führt, dass ich mein Knie unter dem winzigen Plastikholztisch gegen ihres pressen will, doch ihre Beine sind nicht da. Und wie ich mit dem Fuß den ganzen Bereich abtaste, ohne dass ihre Beine zu finden sind. Und wie

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