Der Besen im System
wenn sie sich nicht gerade in einer Phase befindet, in der sie am liebsten alles rückgängig machen würde und wieder auf den Frosch zugeht und ihm mit dem Brieföffner den Hals krault und entsprechend zu dem Mann auf Distanz geht. Aber im Großen und Ganzen verliebt sie sich immer mehr in den Mann. Nur ist der Mann nicht mehr so sicher, was seine gemäß den Empfehlungen der Liebestherapeutin platonischen Gefühle für diese nicht allzu attraktive, komplizierte und in vielerlei Hinsicht auch sehr tapfere und in jederlei Hinsicht äußerst interessante Thermosfrau angeht, und so ist sein Gefühlshaushalt so verfahren wie noch nie zuvor in seinem Leben.«
»Hey, wenn du einen Whiskey willst, ich kann Jennifer Bescheid sagen.«
»Lass mal. Zusammen mit Kaugummi schmeckt das nicht so gut. Aber könnte ich bitte noch einen Kaugummi haben?«
»Kommt sofort.«
»Wie gesagt, es wird also schwierig. Der Mann gewinnt immer mehr das Vertrauen der Thermosfrau, und eines Abends stellt sie ihn ihrer Familie in Yonkers vor, bei der er allerdings von Anfang an ein seltsames Gefühl hat, denn sie alle tragen diese Schals und scheinen sich in Gegenwart eines Fremden auch nicht wohl zu fühlen, trotzdem sitzt man eine ganze Weile in beklommenem Schweigen im Wohnzimmer herum, mit Cocktails für die Erwachsenen und Cola für die Kinder, und als es zum Essen geht, kurz bevor alle Platz nehmen, schaut die Frau erst den Mann, dann ihren Vater bedeutungsvoll an und streift kurzerhand ihren Schal ab, um es gewissermaßen offiziell zu machen: Ja, er ist in das Geheimnis eingeweiht; ja, sie ist eine Beziehung eingegangen. Und der Frosch quakt dazu. Da wird es still im Zimmer, und es herrscht eine entsetzliche Spannung, als der Vater schließlich seinen Schal abnimmt und seinen Hals zeigt, in dem sich eine dicke Motte eingenistet hat. Nacheinander legen daraufhin auch die anderen Familienmitglieder den Schal ab, und jeder, so wird offenbar, beherbergt in der jeweiligen Höhlung am Hals ein anderes Tier. Bei der Mutter ist es ein langschwänziger Salamander, bei einem Bruder eine Treiberameise, bei der Schwester eine Wolfsspinne, bei einem anderen Bruder ein Axolotl, eines von den Kleinen hat eine Spinnraupe et cetera, et cetera.«
»Ich schätze, hier ist eine Erklärung am Platz.«
»Nun ja, beim Essen, und das bedeutet hier, dass auch die jeweiligen Halsbewohner etwas bekommen, beim Essen erklärt der Vater dem Mann, dass die Familie aus einem alten, vom Erzähler nicht näher bezeichneten osteuropäischen Land stammt, in dem die Menschen in weitgehend unabhängigen Clans leben, die nur wenige Verbindungen zum Rest der Welt unterhalten, sondern sich ganz auf sich konzentrieren und entsprechend Zusammenhalten und jeden, der nicht zur Familie gehört, als Fremden betrachten, zu dem man möglichst keine Verbindung aufnimmt, und dass die kleinen Tiere im Hals einmal identisch gewesen seien, Erkennungszeichen der einzelnen Clans, Symbole der Unterscheidung vom Rest der Welt. Im Lauf der Zeit, so der Vater weiter, sowie durch Inzucht hätten sich die Tiere im Hals jedoch verändert, und leider seien einige Vertreter der jüngeren Generation auch nicht mehr bereit, den alten Familiensinn aufrechtzuerhalten, sprich die strikte Trennung vom Rest der Welt, wozu sie das Tier im Hals ursprünglich ebenso berechtigte wie verurteilte, speziell einige ganz bestimmte Mitglieder seiner Familie hätten sich erdreistet und offen Kritik an dieser Praxis geübt. Und an dieser Stelle erstarrt die ganze Familie und blickt auf die Thermosfrau mit der Brille wie Flaschenböden, die nur stumm dasitzt und ihren Laubfrosch mit winzigen Stückchen Schulterbraten füttert. Da will dem Mann fast das Herz brechen vor Mitleid mit der Thermosfrau, die sich so weit von ihrem Clan und allem, was ihr heilig ist, entfernt hat, und wie gesagt, ihm bricht fast das Herz, überwältigt von der Erkenntnis, dass er sich in sie verliebt hat, aber nicht so wie bei all den vielen Frauen vorher.«
»Guck mal nach unten, falls es dein Ohr gestattet. Ich glaube, wir sind schon in Pennsylvania, da sind Hex-Zeichen auf den Scheunendächern. Auf jeden Fall haben wir den Eriesee hinter uns.«
»Gott sei Dank. In einem Schlammloch zu ertrinken gehört zu meinen speziellen Horror Vorstellungen.«
»...«
»Es bleibt also kompliziert. Zum ersten Mal hat der Mann den Eindruck, dass er jemanden auf diese ganz persönliche Art liebt, welche ihm die Liebestherapeutin empfohlen hat, und er
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