Der bessere Mensch
und bat sie herein, nachdem er ihre Ausweise unter Zuhilfenahme seiner Lesebrille kontrolliert hatte. Bevor er ihnen im Wohnzimmer einen Platz anbieten konnte, musste er noch stapelweise Bücher, Zeitschriften und lose Blätter wegräumen. Schäfer sah ihm geduldig zu und empfand eine leise Freude darüber, dass der Mann so perfekt dem Klischee entsprach, das er von einem pensionierten Geisteswissenschaftler hatte.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten?“, fragte er, nachdem sie auf den verstaubten Polstermöbeln Platz genommen hatten.
„Nein, vielen Dank“, antwortete Schäfer, der den Professor nicht noch mehr anstrengen wollte.
„Also … womit kann ich weiterhelfen?“
„Hermann Born … Sie haben darüber gelesen?“
„Natürlich … und gleich eine Flasche 92er Saint-Emilion aufgemacht … entschuldigen Sie, das war unpassend … ich sollte mich hüten, so ein Verbrechen ins Lächerliche zu ziehen …“
„Sie haben ihm 1997 ein paar … sagen wir mal, nicht so schmeichelhafte Briefe geschrieben …“
„Ja … haben Sie sie gelesen?“
„Natürlich … deswegen sind wir ja hier …“
„Verständlich … ich wollte Sie nur nach Ihrer Beurteilung des Stils fragen … ich kann mich nicht so recht erinnern … waren sie gut?“
„Herr Buttenhauser … es geht um den Inhalt … darum, dass Sie Herrn Born gedroht haben, ihm die Hoden abzuschneiden …“
„Ach, das habe ich geschrieben? … Sehr gut … ja, der hat mich wohl tatsächlich um meine Contenance gebracht …“
Schäfer warf Bergmann einen verstohlenen Blick zu. Konnte dieser Mann die Energie aufbringen, einen detaillierten Plan zur Ermordung eines Altpolitikers auszuhecken und diesen dann auch noch umsetzen?
„Warum hat Born Sie so in Rage gebracht?“
„Mit ihm ist das Böse wieder in die Politik zurückgekehrt“, meinte Buttenhauser nun sichtlich erregter, „die Hetze … mit der Verbreitung von Hass Stimmen zu gewinnen … eine Ratte als Rattenfänger … ein böser Mensch …“
„Haben Sie damals wirklich mit dem Gedanken gespielt, ihn zu töten?“
Buttenhauser lehnte sich zurück und betrachtete die Zimmerdecke, bis Bergmann sich räusperte.
„Ja. Das war mein Plan … wie Stauffenberg, wie Elser … man ist viel zu gnädig mit ihm verfahren …“
„Warum haben Sie es dann nie versucht?“
Abermals legte Buttenhauser eine Nachdenkpause ein.
„Ich wollte es … ich habe ihn beobachtet … einmal bin ich sogar in der Oper in der gleichen Reihe gesessen, Don Giovanni … dieser Kretin in der Oper … doch je näher ich ihm gekommen bin, desto mehr hat mich der Mut verlassen … nein, es war nicht der Mut … Born war mir menschlich geworden … die Vorstellung, ihn zu töten, war plötzlich mit Schrecken und Scham verbunden …“
„Haben Sie sich damals allein gegen ihn verschworen oder hat es Personen gegeben, die Sie bei einem tatsächlichen Anschlag unterstützt hätten?“
„Natürlich hatte ich Gesinnungsfreunde … Born war ein Hassobjekt … aber mein Vorhaben, ihn zu töten, habe ich für mich behalten … da sollte es keine Mitwisser geben …“
Sie sprachen noch gut zwanzig Minuten mit Buttenhauser; als sie bemerkten, dass er gegen den Schlaf anzukämpfen begann, verabschiedeten sie sich und verließen das Haus. Er hatte kein überprüfbares Alibi für die Tatzeit – doch so weit vertraute Schäfer seinem Gefühl, dass er den Professor für unschuldig hielt.
„Das war wohl nichts“, meinte Bergmann, als sie wieder im Auto saßen.
„Kommt drauf an, wie man es sieht … er hat Born bestimmt nicht ermordet … aber was er über ihn gesagt hat, war schon sehr interessant …“
„Welcher Teil? Das mit den Hoden?“
„Nein, Bergmann … dass mit Born das Böse in die Politik zurückgekehrt ist …“
„Da hat er nicht unrecht …“
„Einmal das … und heute Morgen hat Kamp etwas Ähnliches über Schröcks Vater gesagt …“
„Kommt jetzt noch was?“, fragte Bergmann, nachdem sich Schäfer beim Blick aus dem Wagenfenster in seinen Gedanken verloren hatte.
„Wie? … Ja, das mit dem Bösen … Kamp hat den alten Schröck einen Psychopathen im Nadelstreif genannt … das klingt doch artverwandt …“
„Ja … nur: In den Augen eines Mörders ist sein Opfer meistens etwas Böses … das ist jetzt keine wirklich neue Erkenntnis …“
„Eben … aber dieses Etwas könnte uns weiterbringen …“
„Ich habe den Faden verloren …“
„Sie haben ‚etwas Böses‘ gesagt. Also
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