Der bessere Mensch
ihn regelmäßig mit Prostituieren versorgte? Darüber würde hoffentlich Mesaric mehr sagen können. Sobald der Kroate diese Version bestätigte, würde der Staatsanwalt ihnen Einsicht in die Unterlagen des Escortservice verschaffen, daran hatte Schäfer keine Zweifel. Und dann kämen sie weiter.
Schröck. Die personifizierte Gier. Der Finanzprofi, der einen Großteil seines Vermögens damit gemacht hatte, indem er Unternehmen so weit sanierte, dass sie kurz darauf in Konkurs gingen. War er seiner Ermordung entgangen, weil er früher als vorgesehen von einem Golfturnier zurückgekehrt war? Probleme mit dem Magen, hatte er gemeint. Hoffentlich ein bösartiges Geschwür, dachte Schäfer und versuchte die Mechanismen zu verstehen, die es diesem Mann ermöglicht hatten, durch die Zerstörung von Arbeitskraft Millionen zu verdienen. Immerhin: Schröck hatte mit ziemlicher Sicherheit Borns Mörder gesehen; zumindest das, was die Wollmaske nicht verdeckt hatte. Einen kräftigen und schnellen Körper, der dem Schuss aus Schröcks Waffe ausweichen und das Haus blitzschnell verlassen hatte können, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, die Rückschlüsse auf seine Identität zuließen.
Ihr Täterprofil: Ein Psychopath mit durchschnittlicher bis hoher Intelligenz, die dadurch beschränkt war, dass er die Folgen seiner Handlungen nicht wirklich einzuschätzen wusste. Ein Mensch, der zwischen bedingungsloser Vernichtungswut und Mitleid mit seinem Opfer pendelte. Ein Erlöser, ging es Schäfer durch den Kopf. Aber wovon? Zudem besaß der Täter die Fertigkeit, unbemerkt in ein Haus einzudringen, das durch Sicherheitstüren und Alarmanlage gesichert war. Was war eigentlich mit den Haftentlassenen, um die sich Bergmann hatte kümmern sollen? Schäfer suchte das entsprechende Dokument, öffnete es und ging die Namen durch.
Die meisten von ihnen erkannte er wieder, auch wenn sie nicht wegen Mordes oder Körperverletzung eingesperrt worden waren. Er vertiefte sich in die Fotos ihrer Gesichter; na ja, zum Lachen war in dieser Situation verständlicherweise keinem von ihnen gewesen. Schäfer versuchte sich Wolkinger als Mörder mit Säureflasche vorzustellen; den eher dümmlichen Horaczek, wie er schattenhaft in Schröcks Haus eindringt; Gantner, das eigentlich gutmütige Mammut; er suchte jemanden, der zwischen eins achtzig und eins fünfundachtzig war, was auf zwölf der angeführten Männer zutraf. Zum Schluss blieben Wolkinger, Möring und Zielinski übrig. Diese drei stimmten bezüglich Größe und Körperbau mit dem Mann überein, der bei Schröck eingebrochen war. Zudem wiesen sie als Einzige ein paar der Merkmale auf, die Schäfer dem Mörder zuschrieb: Allesamt waren sie geschickte Einbrecher, hatten bei ihren Raubzügen auch vor Gewalt gegen die Bewohner nicht zurückgeschreckt und verfügten laut Gutachten über eine zumindest durchschnittliche Intelligenz. Ob sie das zu Psychopathen machte, wie der Gerichtspsychiater es Schäfer beschrieben hatte, wagte er zu bezweifeln. Außerdem: Was sollte sie dazu bewegen, nach jahrelanger Haft auf einen rechtsextremen Expolitiker und einen Finanzjongleur loszugehen? Gut, die Seele war als Land so weit wie zerklüftet und Schäfer würde sich auf jeden Fall mit den drei Kriminellen, den Justizwachebeamten und allfälligen Zellengenossen unterhalten.
Am späten Nachmittag ging er zu einem Supermarkt in der Nähe und kaufte sich ein Sandwich und eine Linzerschnitte. Auf dem Rückweg schaute er bei Bruckner vorbei.
„Irgendwas Neues beim Türken?“, fragte er, während er den Belag des Sandwiches untersuchte und das lasche Salatblatt herausnahm.
„Rein gar nichts, das gegen ihn als Mörder spricht“, antwortete Bruckner. „Keine fremden Fingerabdrücke, keinerlei Spuren eines Einbruchs, kein naher Verwandter, der ohne Alibi dasteht …“
„Das geben die sich gerne untereinander …“
„Nein … da bin ich mir sehr sicher, dass da niemand gelogen hat. Der Vater hat als Einziger alles, was es braucht, um als Mörder in Frage zu kommen: seinen kranken Ehrenkodex als Motiv, Zugang zur Wohnung und zur Tatwaffe, außerdem hat er seine Tochter bereits mehrmals geschlagen …“
„Habt ihr eigentlich den Arzt gefunden, der sie damals behandelt hat … nachdem er ihr die Hand gebrochen hat?“
„Ja … klassischer Fall von überlastetem Jungarzt. Sechzehn Stunden nach Schichtbeginn kommt eine Frau, die kaum Deutsch spricht, mit ihrer Tochter in die Ambulanz, weil sie starke
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