Der bessere Mensch
Schmerzen im Unterarm hat. Der Arzt macht ein Röntgen, keine Operation notwendig, legt einen Gips an, fertig …“
„Was steht im Aufnahmebericht?“
„Sportunfall.“
„Und das ist glaubwürdig?“
„Laut dem Arzt ja … genauso gut ist es allerdings möglich, dass sie sich die Hände vors Gesicht gehalten hat, als ihr Vater sie schlagen wollte …“
„Hast du eine Lehrerin oder Mitschüler befragt?“
„Ja … dass sich beim Handball eine die Hand verstaucht oder einmal einen Finger bricht, ist offenbar gar nicht so selten … kann sein, dass sie sich verletzt hat … genau erinnern kann sich allerdings niemand daran … eines Morgens ist sie mit einem Gips aufgetaucht und hat gesagt, dass sie sich am Vortag einen Handknochen gebrochen hat …“
„Das heißt jetzt?“
„Na ja … Anklage, Prozess … ich wüsste nicht, was dem noch entgegensteht …“
„Ein ungutes Gefühl hast du trotzdem …“
„Das wäre übertrieben … es ist nur Büyük selbst, aus dem ich nicht schlau werde … die meiste Zeit ist er völlig abwesend … als ob ihn das gar nichts anginge, dass er ziemlich sicher die nächsten fünfundzwanzig Jahre im Gefängnis steckt …“
„Ich weiß, was du meinst … ich habe mir das Video angesehen … na ja, wir wären schlechte Polizisten, wenn wir uns keine Zweifel erlaubten, oder? … Und wirklich unschuldig ist der auch nicht …“
„Sicher … wie geht’s bei euch?“
Nach einer guten Stunde verließ Schäfer das Büro seines Kollegen und widmete sich wieder der eigenen Arbeit. Zum wiederholten Mal sah er sich die Liste möglicher Verdächtiger durch. Borns Witwe … hatte ein Alibi; seine Tochter … Alibi und kein Motiv; der alte Professor … Motiv, kein Alibi … doch alles andere als kräftig und von mörderischer Wut gepackt; Plank, der ehemalige Student, der Borns Auto mit Säure übergossen hatte … viel zu weich, zu wenig Wahnsinn; die Nachbarn … zu alt oder zu lahm. Mesaric? Im Bereich des Möglichen, aber … nein, das passte nicht zusammen: der Anruf, die Flucht, wenn er in Kroatien war, hatte er für den Überfall auf Schröck sogar ein Alibi … und Schröck war ohnehin mehr ein virtuelles Geschöpf als jemand, der sich im tatsächlichen Leben mit realen Personen aufhielt. Seine Geschäfte liefen im Hintergrund, im Namen einer Holding, über das Internet; wenn man sich nicht in die Materie vertiefte, war es schwierig, ihn als Verantwortlichen für seine Schurkereien auszumachen, zumal sie im juristischen Sinn gar nicht als solche definiert waren. Hatte der Mörder seine Opfer ebenso ausgesucht? Als konkrete Verkörperungen eines abstrakten Bösen?
Um halb fünf rief Bergmann aus Rijeka an. Sie waren eben in ihrem Hotel angekommen und würden gleich aufs Kommissariat gehen, um mit Mesaric zu sprechen. Sie sollten ihn auf jeden Fall nach den Prostituierten fragen, die er möglicherweise zu Born gebracht hatte, erinnerte ihn Schäfer. Und nicht vergessen, zu überprüfen, ob er ein Alibi hatte für den Abend, an dem Schröck überfallen wurde. Er sah Bergmann und Kovacs in der Adriastadt und ärgerte sich, dass er nicht selbst gefahren war. Immerhin hatten sie es dort mit dem Mann zu tun, der als Letzter mit Born telefoniert hatte. Doch auf Bergmann war Verlass, redete sich Schäfer zu, er würde alles richtig machen. Kurz nachdem er das Telefonat beendet hatte, packte er seine Badesachen und fuhr mit der U-Bahn auf die Donauinsel. Er schwamm zweimal von einem Ufer zum anderen, setzte sich dann auf die Terrasse eines Kaffeehauses und bestellte ein Glas Weißwein. Alle paar Minuten sah er auf die Uhr. Jetzt hatten sie bestimmt schon eine Stunde mit ihm gesprochen. Jetzt wussten sie doch sicher schon, was an diesem Nachmittag vorgefallen war. Als das Telefon läutete, war Schäfer nicht mehr nüchtern; er wusste nicht einmal mehr, ob er drei, vier oder fünf Gläser getrunken hatte. Doch, doch, es gehe ihm gut, versicherte er Bergmann, der Schäfers Zustand wohl an dessen Stimme erkannte. Nur ein bisschen zu viel Abendsonne; dazu ein Viertel Wein, das war er nicht mehr gewohnt; aber Bergmann solle ihn jetzt nicht länger auf die Folter spannen.
Mesaric war ein Treffer, gab sich Bergmann zuversichtlich. Kooperativ, glaubwürdig. Er hatte am Nachmittag von Borns Ermordung eine junge Frau afrikanischer Abstammung zu Born gebracht. Es war nicht das erste Mal gewesen. Seit gut einem Jahr arbeitete er für den Escortservice und der Expolitiker war ein
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