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Der bessere Mensch

Der bessere Mensch

Titel: Der bessere Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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musste er die Kiste in der Stadt herumschleppen; vielleicht wäre das Flughafenhotel doch die bessere Entscheidung gewesen, auch angesichts der großen Parkplätze.
    Er duschte und zog ein frisches Hemd an. Der Abend war mild genug, um ohne Jackett im Freien zu sitzen, doch wollte Schäfer auf keinen Fall seine Dienstwaffe vor aller Augen spazieren tragen. Als er die Stiegen hinunterging, überlegte er kurz, die Wirtin nach einen Lokal mit freiem Internetzugang zu fragen. Nein, damit würde er möglicherweise nur ihre perfekte Kopf-Bierglas-Synchronisation stören.
    Er wechselte über die Salzach auf die rechte Altstadtseite, um den großen Touristenströmen auszuweichen, und fand nach kurzem Suchen eine Bar, die mit Wireless LAN warb. Vorwiegend war sie von Männern und Frauen unter dreißig besucht, die sich auf einem gemeinsamen Laptop Videos ansahen, allein vor sich hin chatteten oder sich sonst wie virtuell amüsierten. Ob es ihm jemals gelingen würde, sich so ungezwungen in dieser neuen Welt einzurichten? Denn noch konnte ihm kein Netzwerk die Nähe seiner Kollegen ersetzen, das wurde ihm jetzt erst richtig bewusst. Vielleicht hatte Bergmanns Theorie von der organischen Verschmelzung ja doch ihre Berechtigung. Dass die gegenseitige Nähe ein Energiefeld erzeugte, über das sie sich stärkten und stützten. Was war denn eine E-Mail gegen die Möglichkeit, Kovacs in einem verrauchten Lokal mitten in der Nacht einen Bierdeckel an den Kopf werfen zu können. Ein Telefonat gegen die Minuten im Krankenhauskasten an Bergmanns Seite? Jetzt nur keine Wehmut aufkommen lassen! Da sich weder vor dem Lokal noch im Inneren ein freier Tisch fand, setzte sich Schäfer an die Bar und bestellte einen Pfefferminztee. Ob es Wolkinger tatsächlich schaffen würde mit seinen Biokräutern?, ging es ihm unvermittelt durch den Kopf, während der Computer hochfuhr. Nach Schäfers Erfahrung standen die Chancen dafür schlecht, doch in diesem Augenblick wünschte er es dem verkorksten Ganoven von ganzem Herzen.
    Er rief Kovacs’ Mail ab und öffnete den Anhang, der aus einigen Bildern und gescannten Unterlagen bestand. Krankenblätter aus einer Wiener Klinik von 1977. Name des Patienten: Paul Kastor, geboren am 27.5.1970.
    Schäfer überflog die Untersuchungsergebnisse, die einem Laien wie ihm großteils unverständlich waren. Meningoenzephalitis, dieses Wort kannte er, da ein ehemaliger Schulkollege von ihm daran erkrankt war. Kastor hatte im Alter von sieben Jahren also eine Gehirnhautentzündung gehabt, na und, dachte Schäfer, wie soll mich das weiterbringen. Beeinträchtigung des frontalen blablabla, Verdacht auf blablabla, er scrollte zum Ende des Dokuments und wollte es schon schließen, als sein Blick auf den Namen des behandelnden Arztes fiel: Gernot Hofer, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Hofer? Gernot? Wie sollte sich das ausgehen, wunderte sich Schäfer, dem dieser Name geläufig war, seitdem er zum ersten Mal die Spiegelgrund-Ausstellung besucht hatte, über die er schließlich mit einem Theologen und einem Historiker vor einer großteils desinteressierten Schulklasse referiert hatte. Gernot Hofer war einer der Ärzte auf der Baumgartner Höhe gewesen, die unter dem Vorwand des „minderwertigen Lebens“ Kinder und Behinderte in einen qualvollen Tod geschickt hatten. Doch Hofer war Mitte der Siebziger gestorben. Schäfer gab den Namen in eine Suchmaschine ein. Arme Sau, dachte er, nachdem er die ersten paar Links geöffnet und überflogen hatte. Gernot Hofer junior, der Mann, der Kastor behandelt hatte, war der Sohn des Folterarztes vom Spiegelgrund. Einer der führenden Neurologen auf dem Gebiet der Alzheimerforschung, Schlaganfallrehabilitation und Verfasser zahlreicher bedeutender Fachpublikationen, mit deren Titeln allein Schäfer nichts anfangen konnte. Neben seinen Erfolgen als Mediziner hatte Hofer seit Beginn seiner Laufbahn zahlreiche soziale Projekte ins Leben gerufen, über die Schwerkranken, Katastrophenopfern, Waisenkindern, Drogenabhängigen, ehemaligen Strafgefangenen und zahlreichen anderen Menschen am Rande der Gesellschaft geholfen wurde. Ein Wohltäter, ein Guter, musste Schäfer anerkennen, als er die Lobeshymnen auf Hofers karitativen Einsatz überflog. Freilich gab es da auch dieses unschöne Thema, das sich in die Suchergebnisse und in Hofers Vita zwängte wie ein lästiges Stück Speck in sonst saubere Zahnzwischenräume: Vater Hofer, der Nazi-Arzt am Spiegelgrund, Kollege des Mannes, der

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