Der bessere Mensch
psychopathischen Mehrfachmörders? Mussten die verantwortlichen Ärzte dem Patienten eigentlich Bescheid darüber geben, was er in Zukunft mit sich herumtrüge? Medizinisch gesehen war es natürlich blödsinnig, sich bei einer Herztransplantation Gedanken zu machen über eine gleichzeitige Übertragung nichtorganischer Dinge – zumindest ging Schäfer davon aus, dass die Ärzte diesbezüglich alles im Griff hatten. Doch was, wenn sich tatsächlich der Geist eines Menschen über das Herz … wenn sich Kastors Erbe auf diese Weise … und hatte er nicht irgendwo einmal gelesen, dass die DNS mutieren konnte? Oder war das ein Horrorfilm gewesen. Sehr schön: Das fiel ihm alles jetzt ein, nachdem er stundenlang mit einem Mediziner zusammen gewesen war, den er hätte fragen können.
Am frühen Morgen weckten ihn tierische Laute, die er am Land als das Muhen zahlreicher Kühe gedeutet hätte. Doch hier in der Stadt? Er wankte schlaftrunken zum Fenster und sah auf die Gasse hinab. Tatsächlich: Zwei Männer trieben eine Herde Fleckvieh vorbei. Waren die normal? War das legal?
„He!“, schrie er den Kuhhirten zu, „was treibt ihr da?“
„Siehst du doch“, erwiderte einer der beiden mit einem breiten Grinsen, „Kühe.“
„Gib mir eine ordentliche Auskunft, sonst beschlagnahme ich eine und esse einen Monat lang Schnitzel.“
„Demo“, antwortete der Mann gelassen, „wegen der Milchpreise.“
„Aha“, erwiderte Schäfer und verharrte über das Fensterbrett gebeugt, während die seltsame Prozession vorbeizog. Sollte er die Kuhtreiber vielleicht bestechen, ihr Vieh ins Innenministerium und Polizeipräsidium zu treiben, quasi Verwandtschaftsbesuch bei den Wiener Hornochsen zu Ehren des türkischen Premierministers? Nur keine Mördergrube aus deinem Herzen machen, Schäfer, murmelte er, ging ins Bad, rasierte sich, duschte und zog sich an.
Die Gaststube war menschenleer, die Tische nicht gedeckt. Schäfer öffnete die Tür zur Küche und rief ein ‚Guten Morgen‘ hinein. Keine Reaktion. Bei seinem Bruder würde jetzt ein Kaiserfrühstück mit Schinken und weichen Eiern und Pfirsichen und allen möglichen anderen Köstlichkeiten auf dem Tisch stehen, ärgerte er sich und ging in sein Zimmer zurück. Schob Geld und Telefon ein, schnallte mangels eines Zimmersafes seine Dienstwaffe um und machte sich auf den Weg, ein Kaffeehaus zu suchen, in dem er frühstücken konnte.
Am Mozartplatz überholte er die Kuhherde, die sich Salzburgs Sehenswürdigkeiten offensichtlich in aller Ruhe ansehen wollte. Die Männer hatten reichlich Mühe, ihre Tiere von den Auslagen der Altstadtboutiquen fernzuhalten. Als eins der Tiere sich vor einem Fastfood-Restaurant erleichterte, blieb Schäfer erheitert stehen. Hatten diese Viecher eigentlich für jeden ihrer vier Mägen auch einen eigenen Darm?, fragte er sich und beobachtete, wie ein Restaurantangestellter, der eben dabei war, Metalltische ins Freie zu stellen, entgeistert auf den riesigen Kothaufen starrte.
Am Ende der Getreidegasse setzte er sich schließlich vor ein Kaffeehaus, wartete eine halbe Ewigkeit, bis er bedient wurde, und bekam dann zum Ausgleich ein hervorragendes Frühstück. Während er auf seinen zweiten Kaffee wartete, rief er Bergmann an, der im Krankenhaus um diese Zeit bestimmt schon geweckt worden war.
„Na, lieber Kurgast, wie geht’s uns heute? Schon Stuhl gehabt? … Gut … In Salzburg, auf der Suche nach der verlorenen Zeit … Was in der Krankenhausverwaltung aber genauso gut zu einer Hommage an Kafka werden kann, wie ich befürchte … Na, diese Stadt stimmt mich eben musisch, Festspielzeit, angenehme Temperaturen … Na, na, jetzt werden Sie nicht ausfällig, Bergmann, was kann denn ich dafür, dass der … Ja hätte ich meine Waffe vielleicht zum Flughafen mitnehmen sollen? Wer kann denn ahnen, dass Sie so unvorsichtig sind und … Ich scherze doch nur, Bergmann, ohne Sie wären wir nie so weit gekommen, das wissen Sie doch … Ja … Mache ich, ich melde mich … Gute Besserung.“
Später am Tag dachte er, dass er mit seinem Scherz über Kafka und die Krankenhausverwaltung vorsichtiger hätte sein müssen. Er erreichte so gut wie gar nichts. Nicht in der Verwaltung des Unfallkrankenhauses, wo Kastor nach seinem Stand des Wissens hingebracht worden war, noch im Landeskrankenhaus, noch bei den Bekannten seines Bruders, die ihn höflich, aber bestimmt darauf hinwiesen, dass ein Suizid, der sich vor fünfzehn Jahren ereignet hatte, nicht gerade
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