Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
einer WG
führen, wo sie beim Hinausgehen vermutlich den Müll mit runternehmen müßte.
Pete jedoch war der beeindruckendste Mann, den Anna seit langem kennengelernt
hatte: intelligent, gebildet, gutaussehend, selbstsicher, humorvoll, wenn auch
leicht arrogant und etwas dominant. Ein Alphamännchen. Nach dem fünften Bier
gingen sie in sein Hotel, fielen wild übereinander her und trieben es bis in
die frühen Morgenstunden. Danach schlief er ein. Anna hatte seinen schweren
Oberschenkel, den er, unbewußt besitzergreifend, über ihre Hüfte gelegt hatte,
zur Seite geschoben, sich angezogen und war nach Hause gefahren. Sie hatte
keine Nachricht hinterlassen. Aber er wußte ihren Namen. Wenn er wollte, könnte
er sie ja anrufen. Anna spürte deutlich, daß sie sich das wünschte. Um endlich
einschlafen zu können, überredete sie sich geduldig, nichts zu wollen oder zu
wünschen. Nicht mal, einschlafen zu wollen. Es funktionierte halbwegs. Immerhin
schlief sie ein.
Montag, 27. Juni
Am Montag morgen um halb neun versammelten sich Christian
und seine Leute im als Konferenzraum genutzten größten Zimmer der Einsatzzentrale.
Karen war als einzige einigermaßen ausgeruht, denn sie war schon Samstag
nachmittag nach Hamburg zurückgeflogen. Christian, Eberhard und Volker hingegen
waren erst vor einer Stunde gelandet und direkt vom Flughafen ins Büro
gefahren. Sie hatten das Wochenende bei den Kollegen im Landeskriminalamt
Saarbrücken mit Verhören aktenkundiger saarländischer Pädophiler verbracht.
Doch angeblich wußte keiner etwas, niemand kannte irgend jemanden, noch hatte
man mit der Szene überhaupt etwas zu tun. Sie hatten mögliche nationale und
internationale Verbindungen der saarländischen Kinderschänderkreise überprüft,
sie hatten das restliche am Fundort gesammelte Material ein ums andere Mal und
dann noch mal gesichtet, kategorisiert und, so weit es in diesem Stadium ging,
interpretiert. Sie hatten kaum geschlafen und sahen entsprechend aus.
Unrasiert, übermüdet und überarbeitet. Inzwischen waren sämtliche alten
Papiertaschentücher, Kippen, Kondome, Bierdosen und was sie sonst noch alles in
dem Waldstück gefunden hatten, ohne daß es vermutlich auch nur irgendeinen
Hinweis auf den Mord ergab, in zwei Kisten verpackt, welche hier nun in Hamburg
erneut gesichtet und ausgewertet oder in die Asservatenkammer gebracht werden
würden. Seit kurzem besaß Christian das Privileg, ohne Rücksicht auf lokale
Zuständigkeiten landesweit Beweismaterial einsammeln und mitnehmen zu dürfen,
statt sich mit schlechten Kopien oder unvollständigen Berichten begnügen zu
müssen.
Christians Team war die erste länderübergreifende SOKO
Deutschlands und vom Innenministerium eingerichtet worden. Christian hatte sich
um diese Neuerung mehr als bemüht, und man schien tatsächlich aus den Fehlern
der Vergangenheit gelernt zu haben: Der »Pfadfindermörder« trieb über einige
Jahre hinweg ungestört sein blutiges Geschäft in Deutschland und im
angrenzenden Frankreich. Fünf Kinder fielen ihm zum Opfer. Als er durch einen
Zufall gefaßt wurde und die Morde aufgeklärt werden konnten, war erschütternd
schnell klar, daß er nur aufgrund von Kommunikations- und Verfahrensfehlern,
Reibungsverlusten durch Kompetenzgerangel und Schlampereien und unmotivierter
und schlecht ausgebildeter Beamter so lange auf freiem Fuß geblieben war.
Nun waren in Deutschland seit Beginn des Jahres drei Kinder ermordet
worden. Die Medien machten Druck. Sie stürzten sich gierig auf die Fälle,
tauften den mutmaßlichen Serienkiller in bedrohlicher Diktion »Bestatter« und
erinnerten an den Fall Dutroux, der ganz Belgien über Jahre hinweg
gesellschaftlich und politisch erschüttert hatte. Ein ähnliches Desaster galt
es in Deutschland zu vermeiden, befand der Innenminister und entschloß sich,
vom BKA-Präsidenten
eine Sonderkommission einrichten zu lassen. Diese SOKO sollte eine kleine,
kreative, aber schlagkräftige Einheit mit bundesweiten Vollmachten sein und
absolut unabhängig ermitteln. Und ein Hauptverantwortlicher mußte her als
Beweis für die Presse, daß man aus den Fehlern gelernt hatte. Im Falle eines
Scheiterns stand damit auch der Sündenbock schon bereit und konnte der
Öffentlichkeit zum Fraß vorgeworfen werden.
Diese Rolle wurde nach langem Überlegen auf oberster behördlicher
Ebene dem Hamburger Kriminalhauptkommissar Christian Beyer zugedacht. Sein
alter Kumpel Fred Thelen hatte sich für den 46jährigen eingesetzt,
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