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Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Titel: Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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blickte
auf die inzwischen relativ unbelebte Kreuzung. Manchmal, wenn er gute Laune
hatte, dachte er bei diesem Anblick grinsend an zwei Wochen, in denen er wegen
einer groben Respektlosigkeit seinem früheren Chef gegenüber zur Strafe den
Verkehr hatte regeln müssen. Heute allerdings hatte er keine gute Laune.
Überhaupt hatte er schon seit langem keine gute Laune mehr gehabt. Christian
atmete hörbar ein und aus und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Die Dusche hatte
geholfen, der Wodka half besser. Nach dem ersten Glas genehmigte er sich noch
ein zweites, das er halb liegend auf dem Sofa trank. Zwei Fingerbreit, zwei
Eiswürfel. Langsam entspannte er sich.
    Er geriet kurz in Versuchung, Jan anzurufen, ließ es aber. In den
letzten Wochen hatte er ihm mehrfach aufs Band gesprochen, schon längst war Jan
an der Reihe, sich zu melden. Anfangs, als Jan vor fast genau einem Jahr nach
Los Angeles gezogen war, hatte er jeden Sonntag angerufen. Inzwischen kamen die
Anrufe weitaus sporadischer, und Christian fürchtete, den Kontakt zu seinem
Sohn ganz zu verlieren. Schleichend. Ohne ein klärendes Wort. Jan wollte
unbedingt Schauspieler werden, eine Wahl, die Christian zwar nicht schätzte,
die aber auch keinen ausgesprochenen Widerwillen hervorrief. Der Junge war
schließlich alt genug. Als Christian sich von Inka hatte scheiden lassen, war
Jan acht Jahre alt gewesen. Zuerst verhinderte Inka den Kontakt, und er bestand
nicht auf seinem Besuchsrecht, um die Schlammschlacht, die in Gang war, nicht
noch anzuheizen. Bei der schnellen Scheidung vor Gericht war von Schuld nicht
die Rede gewesen, doch Inka hatte sie ihm uneingeschränkt zugewiesen. In
endlosen Streitereien und Diskussionen, bevor sie sich trennten, und in
schonungslosen Abrechnungen danach. Sie hatte recht gehabt. Immer wieder hatte
er flüchtige Abenteuer mit anderen Frauen gesucht, deren einzige Bedeutung für
ihn darin lag, daß er sich für wenige Stunden lebendig fühlte in der
permanenten Anwesenheit des Todes, der ihm Tag für Tag begegnete. Inka konnte
das nicht verstehen, wie auch. Er begriff es damals ja selbst nicht, fühlte
sich schlicht männlich und sah sich zugleich als selbstloser Beschützer seiner
Familie, wenn er abends nach Hause kam und in Sprachlosigkeit versank, um Tod
und Elend nicht in sein Privatleben einzuladen. Inka jedoch hatte das Gefühl,
daß er sie und Jan immer mehr aus seinem Leben ausschloß. Bis sie es nicht mehr
ertrug und sich trennte und damit ihn aus ihrem und Jans Leben ausschloß.
Christian war es recht, er war beleidigt und verletzt, und mit der Rolle des
Arschlochs kannte er sich aus. Doch sein Sohn fehlte ihm mehr und mehr, und mit
der langsamen Einsicht in seine Fehler fand eine ebenso langsame Annäherung an
seine Ex-Frau statt, die ihm etwa drei Jahre später den Kontakt zu Jan wieder
ohne Einschränkung ermöglichte. Immerhin konnte er nun ab und an seinen Kleinen
mit zum Fußballplatz nehmen oder ihm mal eine Blaulichtrunde mit dem Einsatzfahrzeug
spendieren. Ein paar Jahre lief es ganz gut so, doch dann zog sich Jan zurück
und erübrigte immer weniger Zeit für seinen Vater. Christian glaubte es zu
verstehen, der Junge wurde langsam erwachsen, da waren Frauen erst mal
wichtiger als Fußball.
    Inzwischen war Christian sich nicht mehr so sicher, ob er mit dieser
Theorie richtiggelegen hatte. Er vermutete, daß sein inzwischen zwanzigjähriger
Sohn schwul war. Gesprochen hatten sie nie darüber, das war immer noch nicht
Christians Stil. Er fand die sexuelle Orientierung seines Sohnes zwar
bestenfalls irritierend. Dennoch hätte er sich gefreut, mal wieder von ihm zu
hören.
    Christian nahm noch einen Schluck und stellte das leere Glas ab.
Innerhalb weniger Minuten war er auf dem Sofa eingeschlafen.

Im Schein einer Straßenlaterne huscht eine Ratte aus dem Gully
und verschwindet zwischen den Absperrungen einer Baustelle. Die Nacht hat sich
wie schwerer Samt über das Musterhaus gelegt. Dort, in seinem Zimmer, liegt der
Junge. Ein Plastiklicht in der Steckdose verbreitet mattgelben Schimmer. Der
Junge hat Angst einzuschlafen. Wenn er die Augen zumacht, sieht er
Krabbeltiere. Sie krabbeln auf seiner nackten Haut und wollen ihm in den Mund
kriechen und in die Augen. Die Augen wollen sie aufessen. Der Junge hält sich
mit beiden Händen den Mund zu und kneift die Augen fest zusammen. Aber wenn er
die Augen zusammenkneift, kann er nichts sehen. Alles ist schwarz. Auch das
macht ihm angst. Der Junge öffnet die Augen

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