Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
Scham.
»Der kann ja richtig nett sein«, sagte Pete mit sarkastischem
Unterton. Christian schwieg.
Heidi Backes, die Mutter des toten Jungen, wohnte in einer
wenig ansehnlichen Straße von St. Ingbert. Die graue, reichlich verwitterte
Häuserzeile verbarg den Blick auf einen gepflasterten Hinterhof, der vor Dreck
starrte. Es stank nach Fäkalien, was die Hitze noch unerträglicher machte. Zwei
alte, halbverfaulte Holzschuppen dienten als Außenklos, und in den von
Rattenpisse feuchten Ecken spielten zwei kleine Kinder mit Plastikrobotern.
Zwischen der Häuserwand und den Schuppen waren kreuz und quer Leinen gespannt,
auf denen frische Wäsche hing. Das fröhliche Flattern der weißen Wäsche im Wind
wirkte seltsam unpassend in dieser Mischung aus Tristesse und Hoffnungslosigkeit.
Die Häuser waren nur von hinten zugänglich. Es gab vier Türen, zu denen jeweils
ein paar schiefgetretene Stufen hinaufführten. Vor dem ersten Aufgang saß eine
dicke alte Frau in einer Kittelschürze und schälte mit ungelenken Gichtfingern
Kartoffeln. Der junge Polizist fragte sie nach Heidi Backes. Mit dem
Kartoffelschäler wies die alte Frau auf den nächsten Eingang. Christian bat den
Fahrer, der immer noch ziemlich blaß um die Nase war, im Wagen zu warten.
Als Christian auf sein Klopfen hin keine Antwort erhielt, drückte er
auf die Klinke zu Frau Backes Wohnung. Es war nicht abgeschlossen, was er als
Einladung interpretierte. Volker und Pete folgten ihm. Sie standen direkt in
einer kleinen Küche, zum zweiten Mal für heute. Das Fenster war mit einem groben,
schmutzigen Stoff behangen, der das Sonnenlicht weitgehend ausschloß. In der
Mitte des Raumes stand ein Tisch mit drei wacklig aussehenden Plastikstühlen,
die dahinter liegende Kochnische war angefüllt mit schmutzigem Geschirr und
leeren Flaschen.
»Frau Backes?« rief Christian fragend ins muffige Dunkel hinein. Aus
einem hinteren Zimmer kam leise Antwort.
»Wir sind von der Polizei und würden Sie gern einiges fragen«, fügte
Christian hinzu.
Ein Bett quietschte, Frau Backes schlurfte heran. In der Tür blieb
sie stehen und lehnte sich an den Rahmen. Christian war überrascht, wie jung
sie noch war, höchstens Ende Zwanzig. Sie trug schwarze Leggings und ein
Sweatshirt mit lieblos abgeschnittenen Ärmeln. Darunter schaute ein
himmelblauer BH hervor. Sie sah völlig verquollen aus vom Weinen, fertig, müde,
kaputt. Am Ende.
»Setzen Sie sich«, forderte sie die Besucher auf, mit einer Stimme
so stumpf wie ihr Blick. Christian, Volker und Pete stellten sich vor. Heidi
Backes schien sich wenig für sie zu interessieren. Sie nahm ein Bier aus dem
Kühlschrank und öffnete es geschickt an der Tischkante, die an allen vier
Seiten schon reichlich Gebrauchsspuren aufwies.
»Ich tät Ihnen ja auch eins geben, aber das ist das letzte. Und der
ganze Kummer, wissen Sie …«, erklärte Heidi Backes gleichgültig.
Volker übernahm die Befragung. Zuerst versicherte er Frau Backes
ihrer aller Mitgefühl. Dann fragte er sie nach Herbert Perlmann.
Heidi bemühte sich, in korrekten Sätzen zu sprechen, doch es fiel
ihr schwer. Sie war betrunken, verfing sich in ihrem Dialekt und hatte
erhebliche Schwierigkeiten mit logischen Zusammenhängen.
»Der Herbert, der ist ein guter Freund, nicht nur für den Klaus,
auch für mich. Seit der Alex mich hat sitzenlassen wegen der Schlampe aus der
Bodega, das ist grad mal vier Jahre her, der Klausi war noch ganz klein, und
dann hab ich’s ja schwer gehabt mit dem Kind, konnt ja net arbeiten gehen den
lieben langen Tag, denn wenn man so ’n Balg hat, sag ich immer, dann muß man
sich auch drum kümmern.«
Volker bestärkte sie mit anerkennenden Blicken in ihrer Moral.
»Wie ist denn der Klausi so gewesen?« fragte Pete behutsam
dazwischen.
»Ach, ein anstrengendes Kind«, seufzte Heidi und nahm einen Schluck
aus der Flasche, »immer am Heulen und nie stillsitzen kann er. Und frech. Kein
Wunder, daß nach dem Alex kein Mann sich auf Dauer mehr mit mir eingelassen
hat. Das hat mir der Klausi versaut. So lieb ich ihn hab, aber das hat er mir
versaut.«
»Aber der Herbert«, Volker verfiel in Heidis seltsame Diktion, »der
war dann da für euch?«
Pete bemerkte anerkennend, wie Volker zum Duzen wechselte und über
die gemeinsame Sprache eine Verbindung zu Heidi aufbaute.
»Eyo, der Herbert ist ein guter Kerl. Ich war ganz verliebt in ihn,
aber das hat halt nicht geklappt mit uns. Aber immerhin hat er uns nicht
fallengelassen. Der hat
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