Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
geisteskrank.
Nimmt keine Drogen. Wohnt in Frankfurt. Arbeitet als Postbote, weil er gerne
Fahrrad fährt und frische Luft liebt. Ist nett, aber ein Einzelgänger. Seine
Kindheit war hart, ich habe ihn immer verprügelt, wenn er mir meine Förmchen
geklaut hat. Und noch was: Bei ihm zu Hause habe ich mal ein SM-Magazin
und ein Kitzel-Video entdeckt. Und er mag Kinder. Vermutlich ist er multipel
pervers. Verhaften wir ihn?«
Pete sah sie ausdruckslos an.
»Sorry, ich will mich bestimmt nicht lustig machen. Aber hilft uns
das weiter?« Karen warf Petes Papiere zurück auf den Tisch.
»Ganz so einfach ist es leider nicht«, erwiderte Pete, »das hier
sind lediglich Erkenntnisse über sexuell motivierte Mehrfach- und Serienmörder
in Deutschland, mit denen man einen Verdächtigenkreis validieren kann. Auf den
ersten Blick sehen wir, daß unser Kandidat von diesem empirischen Täterprofil
abweicht. Denn wir haben es mit einem reisenden Serienmörder zu tun, eine
relativ seltene Spielart, die uns das Einkreisen nicht gerade erleichtert.«
»Haben wir es denn überhaupt mit einem sexuell motivierten Täter zu
tun?« warf Christian ein.
»Das drängt sich beinahe auf«, erwiderte Pete ernst. »Die Kinder
sind alle über einen längeren Zeitraum hinweg mißbraucht worden, wenn auch
nicht nachweislich zur Tatzeit. Zumindest die ersten drei. Wir wissen
allerdings, daß sehr wohl ein sexueller Mißbrauch durch den Täter vorliegen
kann, ohne daß Spuren auffindbar sind. Sexuelle Handlungen sind nicht auf
Verkehr beschränkt. Außerdem weisen die Morde einen stark ritualisierten
Charakter auf. Auch das spricht für sexuelle Bezüge.«
»Oder für religiöse«, gab Eberhard zu bedenken.
»Das geht oft Hand in Hand«, nickte Pete, »die Tabuisierung sexuellen
Lustgewinns ohne Fortpflanzungsabsichten durch die katholische Kirche hat schon
zu mancherlei Wucherungen des Bösen geführt. Tabubruch macht geil.«
»Glauben Sie, daß unser Täter die Kinder mißbraucht?« fragte Karen.
»Ich weiß es nicht. Aber ich glaube es, ja. Wenn die Tat in der
speziellen Art ihrer Ausführung vor, während oder nach dem Tötungsakt eine
dominierende sexuelle Komponente beinhaltet, sprechen wir von einem sexuell
motivierten Mörder. Der Tod der Opfer selbst muss dabei nicht notwendigerweise
als sexuell stimulierend empfunden werden. Es kann irgendwas anderes sein, der
Vorgang des Würgens, die Angst in den Augen des Opfers, auf jeden Fall
entspricht es den spezifischen Sexual- und/oder Gewaltphantasien des Täters.
Und über diese Spezifikation müssen wir uns ihm nähern. Betrachten wir unseren
Killer: Er ist kontrolliert. Er plant, führt aus und perfektioniert seine
Vorgehensweise. Das von ihm präferierte Erdrosseln ist statistisch gesehen die
häufigste Tötungsart bei Sexualmördern. Sie favorisieren es vermutlich, weil es
sehr, wie soll ich sagen, persönlich ist. Raubmörder hingegen bevorzugen den
Gebrauch von Distanzwaffen. Sehr wahrscheinlich ist er ein notorischer
Einzeltäter, im übrigen auch ein Spezifikum von Sexualmördern, Raubmörder gehen
öfter gemeinschaftlich vor.«
Pete nahm die Kaffeekanne und goß sich ein.
»Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit Informationen langweile, die Sie
schon kennen«, bat er nebenbei, »aber ich mache mir die Grundsätze immer selbst
wieder klar, bevor ich nach Abweichungen vom Muster suche.«
»Fahren Sie ruhig fort«, erwiderte Christian knapp. Er wischte sich
mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn. Alle im Raum schwitzten wie
Tour-de-France-Fahrer beim Anstieg auf den Mont Ventoux, nur Karen und Pete
wirkten wieder frisch wie aus dem Tiefkühlfach. Irgendwie unnatürlich, dachte
Christian verärgert.
»Was mich beim Bestatter verblüfft, ist die Geschwindigkeit. Es ist
zwar bekannt, daß der Mordrhythmus sich bei manchen Tätern verkürzt, aber von
einer derartig hohen Frequenz – vier Kinder in fünf Monaten – habe ich selten
gehört. Er muß unter ungeheurem Druck stehen.«
»Wir können also davon ausgehen, daß er bald wieder zuschlagen
wird«, meinte Eberhard.
»Das ist das einzig Gute an Serientätern. Wenn man sie nicht in den ersten
achtundvierzig Stunden faßt, wartet man einfach ab, lehnt sich zurück, denkt
nach und schwitzt ein bißchen. Bis zum nächsten Opfer. Und dann bis zum
übernächsten«, fügte Volker scheinbar ungerührt hinzu.
Alle schwiegen bedrückt.
Pete räusperte sich und fuhr fort: »Kommen wir nun zu den Spezifika
der Morde.«
Er kramte in
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