Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
Zwanzig-Zoll-Bildschirm, zurückgezogen in
seine virtuellen Landschaften. Zwischen ihm und dem Verbrechen mußten jede
Menge Gigabyte liegen, sonst bekam er es nicht auf die Reihe und reagierte mit
übermäßigem Rotweingenuß.
Wie immer auf einen möglichst coolen Auftritt achtend, lehnte er
sich zurück und erzählte. Bei seinen Recherchen auf mehrfach verschlüsselten
Internet-Seiten, die nur Insidern zugänglich waren und Maulwürfen wie Daniel,
und mit Hilfe von Verbindungsmännern war er auf einen Namen gestoßen, der in
gewissen Kreisen für den Verlust von Fingern zuständig war.
»Der Kerl nennt sich Joe. Angeblich ist er Russe und heißt Fjodor.
Soll noch ziemlich jung sein, aber schon hoch bezahlt. Ein Profi, dem seine
Arbeit Spaß macht. Besonders viel Spaß macht es ihm, Finger abzutrennen, vor
allem, wenn er einen seiner Kunden befragt, der nicht bereitwillig Auskunft
gibt. Er hat das Foltern zwar nicht mehr beim KGB gelernt, aber Anregungen
offensichtlich aufgenommen. Joe arbeitet gerne mit dem Skalpell. Angeblich ist
sein Vater Chirurg und hat ihn als Kind das Sezieren an kleinen Tieren üben
lassen, Vögel, Frösche, Hasen und so. Es gibt ’ne Menge Geschichten über Joe.
Lustig ist nur, daß keiner ihn je getroffen hat. Es gibt keine Fotos, keiner
weiß, wie er aussieht. Er wird über das Web kontaktet und regelt den Rest
telefonisch. Seine Auftraggeber kommen ausschließlich aus dem organisierten
Verbrechen. Naja, vielleicht würde er auch mal dem ein oder anderen Freund
einen Gefallen tun. Ich fürchte nur, ein Mann wie Joe hat keine Freunde.«
Daniel erhob sich ohne ein weiteres Wort, nahm eine seiner
filterlosen Gitanes aus der Schachtel und ging zurück zum Fenster.
»Kannst du uns Joe auftreiben, Daniel?« fragte Eberhard mit
spöttischem Unterton.
»Süßer, es gibt im Web Welten und Unterwelten, die selbst mir
verschlossen bleiben. Aber wenn’s dich freut, versuche ich es natürlich.«
Eberhard pfiff gekonnt die ersten Takte von Jimi Hendrix’ »Hey Joe«,
Volker begann Luftgitarre zu spielen.
Christian wandte sich, die beiden ignorierend, an Pete: »Ich glaube,
daß es einen Zusammenhang zwischen den Morden an den Kindern und Perlmann gibt.
Vielleicht hat Joe im Auftrag eines Pädophilenrings gehandelt, weil die sauer
waren, daß einer ihre Ware abmurkst.«
»Dann gehen sie wahrscheinlich davon aus, daß Perlmann der Bestatter
ist«, sinnierte Pete.
Christian nickte: »Und sie denken, daß das Thema damit durch sei.
Erst beim nächsten Kindermord werden sie sehen, daß sie sich geirrt haben. Ich
schätze nur, daß unser Bestatter, vorausgesetzt, Perlmann war es wirklich
nicht, sich die gleichen Gedanken macht wie wir. Kann also sein, daß er erst
mal aufhört.«
»Unwahrscheinlich«, widersprach Pete. »Die hohe Frequenz, die er bei
den Morden bislang an den Tag gelegt hat, zeigt, wie dringend er seine
Bedürfnisse befriedigen muß, was immer das für welche sein mögen.«
Christian sah nachdenklich aus dem Fenster: »Wie dem auch sei, wir
werden nicht darauf warten. Daniel, du versuchst, an diesen Joe ranzukommen.
Ansonsten recherchieren wir weiter in der Pädophilenszene.« Christians Stimme
kippte vom Sachlichen ins Aggressive. Er schlug mit der flachen Hand auf den
Tisch: »Es muß doch eine Verbindung zwischen den Fundorten und den Kindern
herzustellen sein, verdammt noch mal!«
»Die meisten Serienmörder töten in einem Umkreis von dreißig
Kilometern zu ihrem Wohnort. Unserer reist, was sehr ungewöhnlich ist. Was ist
mit der Art des Reisens?« fragte Pete. »Welche Fortbewegungsmittel nutzt er?«
»Auto, Bus, Bahn«, vermutete Volker.
»Oder Flugzeug«, wandte Pete ein.
»Wenn der Bestatter so strukturiert und organisiert ist, wie Sie
annehmen, wird er nicht das Flugzeug nehmen und seine Wege über Tickets verfolgen
lassen«, winkte Eberhard ab, »Joe jedenfalls wird so blöd nicht sein.«
Pete runzelte die Stirn. »Es ist doch möglich, daß der Bestatter
beruflich reist und seine Morde an den Dienstreiseplan anpaßt. Leute, die
beruflich unterwegs sind, lassen ihre Reisen häufig von der Firma buchen.
Flüge.«
Christian nickte. Er stand auf und ging zur an die Wand gepinnten
Deutschlandkarte, auf der die Fundorte der Leichen markiert waren: »Kein
Fundort liegt mehr als dreißig Kilometer von einem Flughafen entfernt.«
Karen nickte Pete anerkennend zu. Die anderen sahen Christian an.
Allen war klar, wie aufwendig diese Arbeit werden würde und wie wenig
Weitere Kostenlose Bücher