Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
bestätigte Pete.
Anna fand Petes Bemerkungen äußerst spannend und fragte ihn sofort
nach diesem Detail. Doch er verriet es nicht.
»Ich kenne dich doch gar nicht«, sagte er, »außerdem macht dich
deine Neugier ganz schön verdächtig.«
»Ich bin Psychologin«, entrüstete sie sich, »da ist Neugier eine
Berufskrankheit.«
»Wie läuft denn deine Praxis?« versuchte Pete abzulenken.
Anna wiegelte ab: »Das Übliche: Bulimie, Kleptomanie, Impotenz, Depression.«
»Klingt, als würdest du dich langweilen«, meinte Pete lapidar.
»Das tue ich manchmal tatsächlich. Dann frage ich mich, ob ich es
nicht einfach lassen soll. Ich fürchte, ich bin nicht gut. Aber dann reizt es
mich doch. Ich habe einen neuen Patienten, der ist bislang zweimal rein- und
wieder rausgeschneit. Tut so, als wolle er unbedingt eine Therapie, hat bislang
aber kein einziges halbwegs brauchbares Gespräch zusammengebracht. Haut vorher
wieder ab. Er behauptet, er habe Schlafstörungen, aber sonderlich übermüdet
sieht er nicht aus. Ich habe das unbestimmte Gefühl, daß er mir was vorspielt.
Ich weiß aber noch nicht, was und warum.«
Nachdem Anna sich im Anschluß noch eine halbe Stunde vergeblich
bemüht hatte, mehr über den Fall des Bestatters aus Pete herauszuholen,
verabschiedete er sich schließlich von ihr. Er müsse zumindest diese Nacht ein
paar Stunden schlafen.
Anna goß den Rest ihres Biers weg und machte sich ein Brot. Während
sie aß, checkte sie ihre privaten Mails. Fast nur Junk. Vitaminpillen-Angebote
aus Amerika, Rolex-Fälschungen aus Asien, widerlich direkt angepriesene Links
zu Websites mit den vielfältigsten obszönen Angeboten, alle ausschließlich an
Männer gerichtet.
Einer spontanen Eingebung folgend, schaute sie auch noch in ihre
berufliche Mailbox, obwohl sie die wie jeden Tag schon einmal kurz nach
Feierabend geprüft hatte. Sie hatte eine neue Nachricht, eingegangen vor gut
einer Stunde, als sie mit Pete auf dem Balkon saß. Der Absender war Dante:
»Sehr geehrte Frau Maybach, ich bin gerade mal wieder unterwegs
und melde mich deshalb per Mail bei Ihnen. Ich erwarte nicht, daß Sie mir
antworten, ich gebe nur meinem gelegentlichen Bedürfnis zu reden nach. Wenn
Dinge sich in mein Hirn bohren. Kürzlich war ich in einem Park spazieren. Morgennebel,
kühle Feuchte, grüne Luft, Stille. Da lag eine tote Taube. Halb verwest, von
Insekten übersät. Übelkeit erregend. Das ehemals weiße, unbefleckte Symbol des
Friedens. Palmenzweig im Schnabel. Früher. Viel früher. Jetzt hält sie Pommes
in ihrer degenerierten Fresse. Das Gefieder in schmutzigem Abgas-Grau der
Großstadt, voller Milben, die herabrieseln, sobald sie ihre stinkenden,
juckenden Flügel ausbreitet, um von Hochhaus zu Hochhaus, von Laterne zu
Laterne zu flattern, in einem demütigend engen Radius für ein ehemals freies
Tier, die Stadt zukotend und zersetzend.«
Dann folgte ein Absatz in einer anderen Schrift: » Meine Seele ist gesättigt mit Leid / dem Totenreich ist nahe mein
Leben. Ich werde zu denen gezählt, die fahren zur Grube / ich bin ein Mensch
ohne Kraft, entlassen unter die Toten / gleich den Erschlagenen, die ruhen im
Grabe. «
Anna stellten sich die Nackenhaare auf. Wieder verspürte
sie diesen unheilvollen Sog, den auch Dantes schwarzer Bannstrahl auslöste,
wenn er ihr in die Augen sah. Unheimlich, bedrückend, und so anziehend wie ein
strudelndes Gewässer, das man von einer Brücke aus betrachtet und glaubt, sich
hineinstürzen zu müssen, wohl wissend, daß es den Tod bedeutet.
Donnerstag, 30. Juni
Am Donnerstag morgen in aller Frühe saß Karl Detering mit
seiner Frau beim Frühstück. Wie meist nahmen sie es weitgehend schweigend ein.
Nur der gelegentliche Austausch von Informationen unterbrach das Kauen.
»Du denkst dran, daß ich heute abend nicht zu Hause bin«, sagte
Astrid. Er blickte fragend von seinem Honigbrötchen auf.
Astrid seufzte mit deutlichem Vorwurf. »Hörst du mir denn nie zu?
Ich gehe zur Vernissage dieser Vulva-Malerin. Du weißt, daß ich ihr Modell
gestanden oder besser gesagt, gelegen habe. Sie macht faszinierend radikale
Kunst.«
Karl verzog angewidert das Gesicht: »Da wünscht man sich doch einen
verschärften Radikalenerlaß zurück: Berufsverbot und Ausweisung.«
Astrid schob wütend ihren Teller zurück: »Ich jedenfalls bin froh,
daß sich überhaupt mal jemand für meine Möse interessiert. Und heute abend auf
der Vernissage werden alle sie sehen können!«
Wütend ging sie
Weitere Kostenlose Bücher