Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
seien und ihre
Brüder, die noch getötet werden sollten wie sie.«
»Bingo«, erwiderte Christian atemlos vor Aufregung. »Den hat er auch
an Anna geschickt. Da kann uns keiner mit Zufall kommen. Was gibt’s sonst
noch?«
»Das Kind war ein Asiate. Wie unsere erste Leiche. Wieder eine
eintätowierte Nummer auf dem linken Oberschenkel. 1348.«
Nach einer kurzen Pause räusperte sich Karen: »Ich überlege nur …
ganz schön blöd, plötzlich solch eindeutige Spuren zu hinterlassen, oder? Das
Haar wurde ihm ausgerissen, das muß er doch gemerkt haben.«
»Darüber reden wir morgen, wenn du wieder da bist. Schlaf dich erst
mal aus«, sagte Christian.
Doch auch er hatte Bedenken, und die ließen sich nicht so einfach
beiseite schieben.
Montag, 4. Juli
Als Anna am nächsten Vormittag nach Hause kam – sie wurde
auf eigene Verantwortung aus dem Krankenhaus in Varel entlassen –, fand sie
einen Zettel ihrer Mutter auf dem Küchentisch: »Papa holt mich gleich ab. Ich
danke dir. Wir reden später. Mama.« Anna nahm den Zettel, knüllte ihn zusammen
und warf ihn in den Müll. Sie öffnete das Fenster. Ihre Mutter neigte dazu,
jegliche Frischluft aus den Räumen auszusperren. Anna fühlte sich ausgedörrt
und gereizt. Mit einem leichten, sonoren Brummen im Kopf kochte sie sich
Kaffee. Die Halskrause nahm sie unwillig ab und pfefferte sie auf die
Wasserbüffelleder-Ottomane, die sie in ihrer Wohnküche auf der Wandseite des
Eßtischs stehen hatte.
Der Duft des Kaffees versöhnte sie ein wenig mit den Umständen ihrer
verspäteten Heimkehr. Sie goß sich ihre große Lieblingstasse voll, nahm ihre
Unterlagen aus der Reisetasche und schaltete den Computer ein. Bevor sie
Christian und Pete ihr eigenmächtiges Handeln gestand, wollte sie das
Gesprächsmaterial vom Band abtippen und ordnen. Doch sie war müde, und bevor
sie sich an die umfassende Arbeit machte, wollte sie sich etwas Ruhe auf dem
Sofa gestatten. Nur eine halbe Stunde, dann würde sie anfangen. Als der
Computer sie »willkommen« hieß, war sie schon eingeschlafen. Sie hörte auch
nicht mehr das Pling der eingehenden Nachricht, sie sah nicht den Text auf
ihrem Bildschirm: »Sie sind eine gute Psychologin. Und Sie beweisen Moral.
Dante.« Anna schlief tief und fest, und ihr Kaffee wurde kalt.
Fast gleichzeitig bezog Karl Detering eine karge, neun
Quadratmeter große Zelle mit Metallbett und Toilette im Untersuchungsgefängnis
am Holstenglacis. Er hatte sich nach dem Fund der Leiche in Gier schon am Abend
zuvor freiwillig bereit erklärt, eine Speichelprobe abzugeben, um sie mit dem
genetischen Material, das an der Kinderleiche gefunden worden war, zu
vergleichen. Damit dieser Wahnsinn endlich ein Ende und er wieder seine Ruhe
habe, hatte er selbstsicher gesagt. Die Übereinstimmung lag bei 98,3 Prozent.
Als Detering abgeholt wurde, kam kein Wort über seine Lippen. Er war aschfahl
und verlangte sofort seinen Anwalt zu sprechen. Volker war leicht irritiert
darüber gewesen, daß Detering trotz seiner Beherrschtheit ungeheuer überrascht
vom Ausgang der Untersuchung schien. Warum hatte er sich so bereitwillig für
den Test zur Verfügung gestellt? Wollte er unbewußt tatsächlich gefaßt werden?
Eberhard tippte auf völligen Realitätsverlust und erinnerte schadenfroh an den
ehemaligen Bundesligatrainer Christoph Daum, der großspurig eine Haarprobe
abgegeben hatte, obwohl er wissen mußte, daß man ihm dadurch den Gebrauch von
Kokain nachweisen konnte.
Als Anna nach zwei Stunden bleiernen Schlafes benommen
wieder aufwachte, rief sie in der Einsatzzentrale an, um mit Christian zu
sprechen. Der war jedoch bei Oberstaatsanwalt Waller und erstattete dort
Bericht. Yvonne stellte Anna zu Pete durch, der sich recht kurz angebunden meldete.
Pete und seine Kollegen waren schwer im Streß, sie arbeiteten unter Hochdruck,
um die knappe Frist, die ihnen die vorläufige Festnahme einräumte, zu nutzen
und alles, was sie gegen Detering an Indizien zusammentragen konnten, möglichst
lückenlos und überzeugend für Waller zusammenzustellen, damit der Haftbefehl
beantragt werden konnte. Er hatte weder Zeit noch Lust, sich mit Anna zu
treffen, doch als sie ihm interessante Details über Deterings Vorgeschichte in
Aussicht stellte, sagte er zu.
Sie trafen sich in einem Café im Grindelviertel. Die
privaten Zusammenhänge bewußt aussparend, machte Anna Pete klar, daß sie sich
lieber mit Christian getroffen hätte, da es sich um eine rein berufliche
Angelegenheit
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