Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)
ergänzte mit verschränkten Armen: »Berlin, München,
Saarbrücken, Düsseldorf …«
»… mit dem Vorsitzenden Richter des OLG Nordrhein-Westfalen«,
sagte Volker, »und nur um den armen Kerl nicht karrieremäßig in den schwulen
Schmutz zu ziehen – der Herr Richter will nämlich in die große Politik – hat
Detering so lange sein Alibi verschwiegen.«
»Und das Haar an der Leiche bei Neuss? Wie erklärt er das?« fragte
Pete.
»Da will ihm einer was anhängen«, erklärte Daniel und fuhr, Detering
in jammerndem Tonfall zitierend, fort, »vielleicht geht es gar nicht um ihn,
den unbedeutenden Immobilienmakler, sondern um den angesehenen Herrn Richter,
meint Detering. Der Richter wird für jedes politische Amt diskreditiert, seine
Karriere ist am Ende, wenn an die Öffentlichkeit gerät, daß er es anal mit
einem mutmaßlichen Kindermörder treibt.«
»Und ein guter Anwalt wird Argumente für diese These finden«,
mischte sich Karen erstmals ein. »Die Leiche ist wie alle anderen säuberlich
gewaschen worden. Um so erstaunlicher, daß wir zum ersten Mal ein Haar in der
Suppe finden.«
»Irgendwann machen sie alle einen Fehler, das spricht doch nicht für
Deterings Unschuld!« fuhr Pete auf.
»Wir sind deiner Meinung. Aber du kannst dir vorstellen, was ein
Staranwalt wie Blei daraus macht. Waller jedenfalls ist umgefallen. Der schwule
Richter aus Nordrhein-Westfalen ruft Waller an, die Mischpoke kennt sich
natürlich untereinander, bestimmt von irgendeiner blöden Burschenschaft, Waller
ruft Christian an, und Christian flippt aus«, kommentierte Volker.
»Ich kann’s verstehen. Du hättest Detering eben mal hören sollen«,
meinte Eberhard angewidert zu Pete, »der Prototyp des leidenden Opfers. Er
bibbert und bettelt, daß seine Gattin nichts von der schwulen Liebschaft
erfährt. Wenn du mich fragst, eine Oscar-reife Leistung!«
»Und der Richter? Habt ihr ihn schon gecheckt?« Pete hoffte auf
einen einfachen Ausweg.
Volker nickte: »Er kommt morgen zum Interview. Auf den ersten Blick
blütenweiß.«
Nun verstand Pete, warum Christian so ausgerastet war: »Wenn der
Deterings Aussage bestätigt, müssen wir ihn freilassen. Das kann doch alles
nicht wahr sein.«
Christian lief ziellos durch die verregneten Straßen. Es
stürmte mit einer Windstärke von acht bis neun, stündlich wurden die
Unwetterwarnungen wiederholt. Die aufgespannten Regenschirme der mit gesenktem
Kopf über die Trottoirs hastenden Passanten wurden in alle möglichen Richtungen
gebogen, kleinere Zweige brachen von dem Bäumen und wirbelten über die
Fahrbahn, auf der sich für Hamburger Verhältnisse ungewöhnlich gestreßte
Autofahrer gegenseitig anhupten. Nach außen unaufmerksam, aber innerlich
hochkonzentriert, bewegte sich Christian durchs Feierabendgewühl. Er nahm kaum
wahr, daß er von einem eiligen Fußgänger angerempelt wurde. Achtlos überquerte
er eine Kreuzung, behinderte den Verkehrsfluß und zeigte en passant einem
erbosten Autofahrer den Mittelfinger. Dann hielt er abrupt an, so daß eine
ältere Dame fast auf ihn aufgelaufen wäre, und versuchte, sich in dem
strömenden Regen eine Zigarette anzuzünden. Als die Kippe komplett durchnäßt
war, gab er es auf und warf sie in den Rinnstein. Er lief weiter, den Kopf
gesenkt. Regen störte ihn normalerweise nicht, er war kein Sommertyp. Langsam
jedoch ging selbst ihm das Wetter an die Nerven, der Himmel hing zu tief und
drückte aufs Gemüt. Und der Regen schien ihn heute zu durchweichen, seine Haut,
die äußerste Begrenzung seines Körpers, schien sich aufzulösen, fühlte sich
wund und entzündet an, so daß sein Inneres ungeschützt war und verletzlich, der
Regen ging ihm unter die Haut, der Fall ging ihm unter die Haut, und Anna
ebenso.
Er versuchte die düsteren Gedanken abzuschütteln und grübelte, ob es
bei den Ermittlungen zu irgendwelchen formalen Fehlern gekommen war, die ihm
Deterings Anwalt als zusätzliche Knüppel zwischen die Beine werfen konnte. Doch
abgesehen von der nicht abgesegneten Beobachtung durch Scout und Nicki war
alles sauber gelaufen. Leider hatte die Beschattung keinerlei Ergebnisse
gebracht, da sich Detering absolut unauffällig verhielt. Nicht mal zu Annas
Praxis war er gegangen, so daß sie ihm diese Verbindung nicht nachweisen
konnten.
So wie die Dinge jetzt lagen, bekam Annas Aussage mehr und mehr
Gewicht. Christian hätte sie gerne herausgehalten und hatte schon gehofft, daß
sie mit dem genetischen Befund den entscheidenden
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