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Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe)

Titel: Der Bestatter: Thriller (Christian Beyer-Reihe) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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eine. Wir
sind hier ein wenig provinziell.« Irmgard kicherte verlegen. »Jedenfalls kam
Karl völlig verstört zur Polizei. Stellen Sie sich vor, er hatte sich über
Nacht den Schädel kahlrasiert. Warum, wußte er hinterher selbst nicht mehr. Er
hatte keine Ahnung, wo er die Nacht über war und was er gemacht hatte. Der
Schock. Durchgefroren und schmutzig war er. Und da wollten sie von ihm wissen,
wer die dritte Leiche war, und er hat es ihnen gesagt. Einen Namen oder so was
haben sie aber nie rausgekriegt. Den hat wohl keiner vermißt, den Armen. Karl
meinte, er hätte sich Jimi genannt, nach Jimi Hendrix. Ich weiß es noch wie
heute. Weil Jimi Hendrix ja auch so früh gestorben ist.«
    »Danach war Karl nicht mehr der alte«, fuhr Walter fort. »Er hat
sich erst mal zurückgezogen, nun gut, das haben wir verstanden. Aber nach ein
paar Wochen tauchte er wieder auf – er war zu irgendwelchen entfernten
Verwandten oder Freunden seiner Eltern gefahren –, und es ging ihm erheblich
besser. Er wollte dann nicht mehr Theologie studieren. Ich vermute, er hat
durch das schreckliche Ereignis seinen Glauben verloren. Schlimm, so was.«
    Irmgard nahm das Gespräch wieder in die Hand: »Er hat ein paar
Semester BWL in Bonn studiert, aber nicht lange. Dann hat er von dem Geld
der Versicherung in Hamburg ein neues Immobilienbüro aufgemacht. Das haben wir
zumindest gehört. Von Frau Huber, die war da nämlich mal im Krankenhaus, weil
sie so eine entzündete Verengung der Speiseröhre hatte. – Da hat sie jedenfalls
den Karl zufällig auf der Straße getroffen und ein paar Sätze mit ihm
gewechselt. Und mir hat sie erzählt, der Karl sei auch ein ganz stattlicher und
offensichtlich gutsituierter junger Mann geworden, ganz wie sein Vater. Wer
hätte das gedacht?!«
    »Und wie das mit seinem Gedächtnisverlust war, wissen Sie nicht?«
fragte Anna.
    »Das haben wir nur gehört von unserem Hausarzt. Weil der Karl doch
deswegen nicht zum Bund mußte«, erklärte Irmgard.
    »Der Arzt steht natürlich unter Schweigepflicht, und da hält er sich
dran«, fügte Walter vorsichtig an.
    Anna nickte vertrauensbildend: »Ich stehe auch unter
Schweigepflicht. Sie können mir also ruhig alles erzählen, was Sie wissen.«
    Während sie sich selbst diese Sätze sagen hörte, fragte Anna sich
unwillkürlich, was in sie gefahren war, daß sie ihr Berufsethos mit Füßen trat
und nette Leute so schamlos hinters Licht führte.
    Irmgard ließ sich nicht zweimal bitten: »Wir verstehen natürlich
nicht viel von solchen Sachen. Aber komisch war es schon. Weil der Karl sich
einfach an manches nicht erinnern konnte. An Kleinigkeiten, Details. Sagte der
Arzt jedenfalls. Wie sein Teddybär hieß, das wußte er nicht mehr, obwohl er ihn
als Kind immer bei sich hatte, oder daß er sich mal beim Fallen vom Baum die
linke Wade ganz schlimm an einer Scherbe aufgeschnitten hat und so. Aber die
wichtigen Sachen wie Geburtstage seiner Eltern, die konnte er sich merken.«
    Als Anna sich auf den Rückweg nach Hamburg machte, war es
schon dunkel. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Es war stickig im Auto
und die Scheiben beschlugen, doch Anna mochte das Gebläse nicht auf die
Höchststufe stellen. Sie haßte es, wenn die Luft zu heftig durch den Wagen
wirbelte, ihre Augen begannen dann immer zu tränen. Auf der Landstraße war kaum
Verkehr, nur dann und wann fuhr ein anderes Auto an ihr vorbei, bis sie
schließlich ganz allein war. Sie zündete sich eine Zigarette an und überprüfte,
inwieweit das Gehörte zu dem paßte, was sie von Carlos Dante wußte. Die Amnesie
nach dem Brand schien sinnig. Sicher hatte Karl den Tod seines ihn aktiv
mißbrauchenden Vaters und seiner passiven Mutter als Befreiung empfunden. Als
Chance auf einen Neuanfang. Daß das Gehirn Daten löschte, die diesem Neuanfang
im Wege stehen würden, war nicht überraschend. Bei solchen Ereignissen konnte
eine Menge durcheinandergeraten. Anna erinnerte sich an die Literatur, die sie
einmal über sexuell mißbrauchte Kinder gelesen hatte. Sehr häufig kommt es bei
ihnen zu dissoziativen Identitätsstörungen, wobei das traumatische Erlebnis in
zahlreiche Bestandteile zerlegt und in die hinterste Schublade des Bewußtseins
gedrängt wird. Viele von ihnen entwickeln sogar verschiedene Persönlichkeiten,
um dem Erlebten zu entkommen, spalten das gesamte Ich, das dem Trauma
ausgesetzt war, mit einer amnestischen Barriere vom Rest der Persönlichkeit ab.
Es gibt dann eine Person, die das

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